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Die Gesellschaft des Abendsterns

Die Gesellschaft des Abendsterns

Titel: Die Gesellschaft des Abendsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Mull
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nicht, was es ist.«
    »Bist du dir sicher?«, fragte Tanu.
    »Ja, wenn ich es tue, will ich, dass Sie mich überraschen.«
    Tanu gab noch einen Klecks der beigefarbenen Paste auf ein Blatt und mischte darin Tropfen aus drei Flaschen. Er reichte Kendra das Blatt, sie schob es sich in den Mund und zerkaute es, dann setzte sie sich mitten im Raum auf den Teppich. Es war ein wenig schwierig, das Blatt zu zerkauen. Es schmeckte nicht wie etwas, das zum Essen gedacht war. Die Paste hingegen war ziemlich gut. Sie schmolz in Kendras Mund und schmeckte ein wenig süß. Kendra schluckte.
    Seth rückte an Tanu heran und flüsterte ihm etwas zu. Kendra war klar, dass er wahrscheinlich fragte, welches Gefühl er zu erwarten habe. Kendra konzentrierte sich darauf, sich das Bewusstsein zu erhalten, dass sie gleich ein Gefühl überkommen würde, das gar nicht echt war. Wenn sie sich nur angestrengt genug konzentrierte, sollte sie in der Lage sein, es unter Kontrolle zu halten. Sie würde es wahrnehmen, aber sie würde nicht zulassen, dass es sie überwältigte. Tanu flüsterte nun seinerseits Seth etwas zu. Beide starrten sie erwartungsvoll an. Was hatten sie bloß? Hatte sich ein Stückchen von dem Blatt zwischen ihren Zähnen verfangen? Seth tuschelte schon wieder mit Tanu. »Warum flüsterst du?«, fragte Kendra mit einem anklagenden Unterton. Es kam ein wenig schroffer heraus, als sie beabsichtigt hatte, aber die beiden waren plötzlich so heimlichtuerisch. Hatte sie mit Tanu geflüstert? Nein! Sie hatte so gesprochen, dass jeder es hören konnte. Es war offensichtlich, dass sie gar nicht mehr über den Trank redeten  – sie tratschten über sie.

    Seth lachte über ihre Frage, und Tanu grinste.
    Tränen brannten in Kendras Augen. »Habe ich etwas Komisches gesagt?«, fragte sie scharf, und ihre Stimme zitterte ein wenig dabei. Seth lachte noch lauter. Tanu kicherte. Kendra knirschte mit den Zähnen und lief rot an. Einmal mehr war sie die Ausgestoßene. Seth fand immer so schnell neue Freunde. Er hatte es bereits geschafft, Tanu gegen sie aufzuwiegeln. Es war alles wieder wie in der vierten Klasse: Sie aß allein zu Mittag und hoffte, dass jemand mit ihr reden würde. Hoffte, dass auch mal jemand anderer als ein Lehrer sie bemerken und mit ihr reden würde.
    »Es ist alles gut, Kendra«, sagte Tanu freundlich. »Denk daran, es ist nicht real.«
    Warum versuchte er, sie zu beruhigen? Ganz plötzlich wurde ihr klar, was Seth ihm zugeflüstert haben musste. Er hatte ihm den Pickel auf ihrem Kinn gezeigt! Seth hatte bestimmt gesagt, dass ihr Gesicht aufbricht wie ein Vulkan, dass der Dreck all ihre Poren verstopft und sie zu einer Freakshow macht. Das war der Grund, warum sie gelacht hatten! Seth hatte sie wahrscheinlich bezichtigt, sich nicht genug zu waschen, obwohl sie sich jeden Abend das Gesicht schrubbte! Aber natürlich würde Tanu Seth glauben, den Beweis hatten sie ja direkt vor Augen, auf ihrem Kinn, so leicht zu übersehen wie ein Leuchtturm. Und jetzt, da Tanu den Pickel bemerkt hatte, würde er nur noch diesen Pickel sehen. Kendra ließ den Kopf hängen. Tanu würde es mit Sicherheit Opa erzählen. Und allen anderen! Sie würden hinter ihrem Rücken über sie lachen. Sie würde nie wieder ihr Gesicht zeigen können!
    Ihre Wangen brannten. Sie begann zu weinen. Widerstrebend blickte sie auf. Seth und Tanu wirkten beide erstaunt. Seth kam auf sie zu. »Es ist alles in Ordnung, Kendra«, sagte er.

    Sie vergrub ihr Gesicht zwischen ihren Armen und schluchzte. Warum starrten sie sie die ganze Zeit an? Warum konnten sie sie nicht in Ruhe lassen? Hatten sie ihr nicht schon genug angetan? Ihr Mitgefühl war noch schlimmer als ihr Spott. Sie wünschte, sie könnte einfach verschwinden.
    »Es ist gleich vorüber«, versicherte Tanu ihr.
    Was wusste er schon? Dies konnte genauso gut erst der Anfang sein! Bisher hatte sie Glück gehabt, und sie hatte nur ab und zu einen einzelnen Pickel bekommen, aber schon bald könnte sie von einer furchtbaren Akne entstellt sein. Rote Klumpen würden sich auftürmen, bis sie aussah, als hätte sie ihren Kopf in einen Bienenstock gesteckt. Jetzt, da Seth begonnen hatte, sie zu verspotten, würde nie wieder etwas so sein wie vorher. Grausame Scherze und falsches Mitleid  – das war es, was ab jetzt auf sie wartete. Sie musste fort von hier.
    Kendra sprang auf. »Ich hasse dich, Seth!«, schrie sie, ohne sich darum zu scheren, was irgendjemand von ihrem Ausbruch halten mochte. Ihr Ruf war

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