Die Gesellschaft des Abendsterns
Großvater darf niemand etwas davon erfahren. Alle anderen sollen denken, wir unternähmen einen Ausflug in die Stadt. Sie haben keine Ahnung, dass der Sphinx sich gegenwärtig in der Nähe aufhält.«
»Klar«, sagte Kendra.
»Was hat der Kobold gesagt?«, fragte Seth.
»Dass er auf unseren Gräbern tanzen würde«, antwortete Kendra.
Seth fuhr herum und legte die Hände wie ein Megaphon an seinen Mund. »Nur wenn sie uns in deiner elenden Zelle begraben«, brüllte er. Er sah Oma an. »Glaubst du, er hat mich verstanden?«
KAPITEL 8
Coulter
E r ist nicht hier«, sagte Seth mit Blick auf seine Armbanduhr.
»Er wird schon gleich kommen«, erwiderte Kendra. Sie saßen zusammen auf einer steinernen Bank am Rand eines ovalen Rasenstücks mit einem marmornen Vogelbad in der Mitte. Die Sonne war vor nicht allzu langer Zeit aufgegangen, und es wurde bereits warm. Zwischen den Blüten eines Strauchs spielte eine Gruppe von Feen. Andere schwebten über dem Vogelbad und bewunderten ihre Spiegelbilder.
»Die Feen waren in letzter Zeit nicht besonders freundlich«, bemerkte Seth.
Kendra kratzte sich am Kopf. »Wahrscheinlich brauchen sie einfach ihren Freiraum.«
»Letzten Sommer, nachdem du sie gegen Bahumat geführt hast, waren sie viel netter.«
»Da waren sie eben besonders aufgekratzt.«
»Versuch, mit ihnen zu reden«, forderte Seth seine Schwester auf. »Wenn du Kobolde verstehen kannst, wette ich, kannst du auch Feen verstehen.«
»Gestern Abend hab ich’s versucht, aber sie haben mich ignoriert.«
Seth schaute abermals auf seine Armbanduhr. »Ich würde sagen, wir machen etwas anderes. Coulter ist schon fast zehn Minuten zu spät. Und er hat die langweiligste Stelle in ganz Fabelheim ausgesucht, um uns dort warten zu lassen.«
»Vielleicht sind wir am falschen Ort.«
Seth schüttelte den Kopf. »Das ist die Stelle, zu der er uns geschickt hat.«
»Er wird sicher noch kommen«, sagte Kendra.
»Wenn er endlich da ist, werden wir wahrscheinlich aufbrechen müssen, um den Sphinx zu besuchen.«
Wie aus dem Nichts tauchte Coulter plötzlich vor ihnen auf; auf seinen Gehstock gestützt, stand er keine drei Meter entfernt auf dem Rasen und versperrte ihnen die Sicht auf das Vogelbad. »Ich nehme an, das Letzte hätte ich besser nicht hören sollen«, sagte er.
Kendra kreischte, und Seth sprang auf. »Woher sind Sie so plötzlich gekommen?«, keuchte Seth.
»Seid vorsichtiger mit dem, was ihr draußen im Freien sagt«, mahnte Coulter. »Man weiß nie, wer vielleicht zuhört. Ich bin mir sicher, dass eure Großeltern euren Besuch beim Sphinx geheim halten wollten.«
»Warum haben Sie uns belauscht?«, fragte Kendra anklagend.
»Um etwas zu beweisen«, antwortete Coulter. »Glaubt mir, wenn ich nicht auf eurer Seite wäre, hätte ich mir nicht in die Karten schauen lassen, sondern mich erst später gezeigt. Übrigens, Kendra, Feen sind von Natur aus sehr eifersüchtig. Es gibt keine bessere Methode, sie gegen sich aufzubringen, als beliebt zu werden.«
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte Seth.
Coulter hielt einen fingerlosen Lederhandschuh hoch und ließ ihn schlaff herunterbaumeln. »Eins meiner wertvollsten Besitztümer. Mein Spezialgebiet sind magische Spielereien —kleine Dinge und Artefakte. Tanu hat seine Tränke, Vanessa hat ihre Kreaturen, und ich habe meinen magischen Handschuh. Unter anderem.«
»Darf ich ihn mal ausprobieren?«, rief Seth.
»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte Coulter, steckte den Handschuh ein und räusperte sich. »Wenn ich recht verstehe, hat Tanu gestern einen guten Anfang mit euch gemacht. Er versteht sein Geschäft. Ihr seid gut beraten, auf ihn zu hören.«
»Das werden wir«, versicherte Kendra.
»Bevor wir anfangen«, sagte Coulter und trat dabei von einem Fuß auf den anderen, als fühle er sich etwas unbehaglich, »möchte ich eins klarstellen.« Er bedachte Kendra mit einem unsicheren Blick. »Ganz gleich, wie sehr ihr auf eure Hygiene achtet, es ist etwas vollkommen Natürliches, wenn ein Teenager ab und zu einen Pickel bekommt.«
Kendra verbarg ihr Gesicht in den Händen. Seth grinste.
»Solche Dinge sind ein natürlicher Teil des Reifeprozesses«, fuhr Coulter fort. »Ihr werdet bald anfangen, auch andere Veränderungen an euch festzustellen, wie zum Beispiel …«
Kendra hob den Kopf. »Es ist mir nicht peinlich«, beharrte sie. »Das war nur der Trank.«
Coulter nickte gönnerhaft. »Nun, falls ihr jemals das Bedürfnis haben solltet, darüber zu
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