Die Gesellschaft des Abendsterns
Stunden war Kendra es leid, das Drama im Klassenzimmer zu schildern. Der Umstand, dass Mrs. Price den Verstand verloren hatte, war das Gesprächsthema der Schule. Die durchgeknallte Lehrerin war vom Schulgelände gerannt, hatte ihren Wagen auf dem Parkplatz stehen gelassen und war seither nicht mehr gesehen worden. Als sich die Nachricht verbreitete, dass Kendra Case beschuldigt hatte und daraufhin besonders heftig attackiert worden war, wurde sie mit endlosen Fragen bombardiert.
Kendra hatte schreckliches Mitleid mit Mrs. Price. Sie war davon überzeugt, dass es irgendeine seltsame Goblinmagie war, die zu dem Ausbruch geführt hatte, aber es war unmöglich, diese Theorie dem Direktor zu unterbreiten. Am Ende musste Kendra schließlich zugeben, dass sie nicht wirklich gesehen hatte, ob Case etwas auf den Stuhl gelegt hatte. Anscheinend hatte auch sonst niemand etwas gesehen. Man konnte nicht einmal die Reißzwecke finden. Und natürlich konnte sie nichts über Caseys geheime Identität sagen, denn sie konnte es auf keinen Fall beweisen, es sei denn, es gelang ihr, Mr. Ford davon zu überzeugen, Casey auf den Mund zu küssen.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle grübelte Kendra über die ungerechte Situation nach. Der Ruf einer unschuldigen Lehrerin war ruiniert worden, und der offenkundig Schuldige
kam auch noch ungeschoren davon. Dank seiner Tarnung würde der Goblin weiterhin Chaos stiften, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Es musste eine Möglichkeit geben, ihn aufzuhalten!
»Ahäm.« Ein Mann, der neben Kendra ging, räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. In Gedanken verloren, hatte sie nicht bemerkt, wie er näher gekommen war. Der Mann trug einen fantastischen Anzug, der so aussah, als wäre er seit ungefähr hundert Jahren aus der Mode. Der Mantel hatte Rockschöße, und dazu trug der Mann eine Weste. Es war die Art von Anzug, die Kendra in einem Theaterstück erwartet hätte, nicht aber im echten Leben.
Kendra blieb stehen und wandte sich dem Mann zu. Kinder, die auf dem Weg zu den Bussen waren, gingen auf beiden Seiten an ihnen vorbei. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Ich bitte um Verzeihung, aber weißt du, wie spät es ist?«
Aus seiner Westentasche hing eine Uhrenkette. Kendra deutete auf die Kette. »Ist das denn keine Uhr?«
»Nur die Kette, mein Mädchen«, sagte der Mann und klopfte auf seine Weste. »Von der Uhr habe ich mich vor einiger Zeit getrennt.« Er war ziemlich groß, mit gewelltem schwarzen Haar und einem spitzen Kinn. Obwohl der Anzug elegant war, war er verknittert und speckig, als hätte der Mann mehrere Nächte in Folge darin geschlafen. Er wirkte ein wenig schäbig. Kendra beschloss sofort, sich von ihm nicht in einen fensterlosen Van locken zu lassen.
Sie trug eine Armbanduhr, schaute aber nicht darauf. »Die Schule ist gerade zu Ende, also haben wir kurz nach zwei Uhr vierzig.«
»Erlaube mir, mich vorzustellen.« Mit seiner weiß behandschuhten Hand hielt der Mann eine Visitenkarte hoch, und zwar auf eine Art und Weise, die nahelegte, dass sie sie
lesen, nicht danach greifen sollte. Auf der Karte stand geschrieben:
Errol Fisk
Cogitator * Ruminator * Innovator
»Cogitator?«, las Kendra fragend vor.
Errol warf einen Blick auf die Karte und drehte sie um. »Falsche Seite«, entschuldigte er sich mit einem Lächeln.
Auf der Rückseite stand:
Errol Fisk
Straßenkünstler sondergleichen
»Also, das glaube ich«, sagte Kendra.
Der Mann besah sich die Karte und drehte sie mit einem verdrossenen Blick abermals um.
»Die habe ich schon…«, begann Kendra, aber sie hatte nicht.
Errol Fisk
Des Himmels spezielles Geschenk an die Frauen
Kendra lachte. »Was ist das hier? Versteckte Kamera?«
Errol betrachtete die Karte. »Ich entschuldige mich, Kendra, ich hätte schwören können, dass ich die da schon vor langer Zeit weggeworfen habe.«
»Ich habe Ihnen meinen Namen nicht genannt«, sagte Kendra, plötzlich argwöhnisch geworden.
»Das brauchtest du auch nicht. Du warst die Einzige von diesen jungen Leuten, die aussah wie von Feen berührt.«
»Von Feen berührt?« Wer war dieser Mann?
»Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du kürzlich
in deiner Schule einen unerwünschten Besucher entdeckt hast.«
Jetzt hatte er Kendras ungeteilte Aufmerksamkeit. »Sie wissen von dem Goblin?«
»Von dem Klabauter, um genau zu sein, obwohl die beiden häufig miteinander verwechselt werden.« Er drehte die Karte abermals um. Jetzt stand
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