Die Gesellschaft des Abendsterns
Vogels Anwesenheit auf dem Grundstück Sorgen mache, da er zweifellos weitere Untaten plane. Ich habe ihnen weiter erzählt, dass ich mich dazu entschieden hätte, den Schlüssel zum Artefaktgewölbe unter meiner Pritsche zu verstecken, und dass ich ihnen das Versteck verraten würde, sollte es zu einem Notfall kommen. Dann haben wir über mögliche Pläne gesprochen, wie wir Ollock morgen aufspüren können, und darüber, wie wir den Aufenthaltsort unseres anderen ungebetenen Gastes ermitteln könnten.«
»Eine große Kiste für einen Schlüssel«, bemerkte Kendra.
»Es ist kein gewöhnlicher Schlüssel«, erwiderte Opa.
»Du benutzt den Schlüssel doch nicht wirklich als Köder«, sagte Oma in der Überzeugung, dass er so töricht nicht sein konnte.
»Natürlich nicht. Die Kiste enthält ein Diebesnetz. Der Schlüssel ist an einem anderen Ort versteckt.«
Oma nickte beruhigt.
»Ein Diebesnetz?«, wiederholte Kendra.
»Falls irgendjemand die Kiste öffnet, ohne die Falle zu deaktivieren, springt das Netz heraus und wickelt sich um den Missetäter«, erklärte Opa. »Ein magisches Werkzeug zum Schutz gegen Möchtegernräuber.«
»Wo ist der Schlüssel?«, erkundigte sich Kendra.
»Ich bin mir nicht sicher, ob du mit diesem Wissen belastet werden solltest«, meinte Oma. »Diese Art von Information könnte dich noch mehr zur Zielscheibe machen. Dein Opa und ich sind die Einzigen, die wissen, wo der Schlüssel sich befindet.«
»In Ordnung«, sagte Kendra.
Opa rieb sich das Kinn. »Ich habe mit mir gerungen, ob ich dich wegschicken soll, Kendra. Einerseits habe ich den starken Verdacht, dass die Krise hier in Fabelheim noch nicht zu Ende ist. Andererseits wird die Gesellschaft des Abendsterns sich sofort an deine Fersen heften, sobald du zu den Toren hinausgehst. Die Zäune von Fabelheim stellen zumindest einen Schutz vor den Mitgliedern der Gesellschaft dar. Nachdem ich das Register an einem neuen Ort versteckt habe, sollten wir keine weiteren unerwünschten Besucher mehr bekommen.«
»Ich würde lieber hierbleiben«, sagte Kendra. »Ich will meine Eltern nicht in Gefahr bringen.«
»Ich denke, das ist für den Augenblick tatsächlich das Beste«, erwiderte Opa. »Ich empfehle dir, heute Nacht mit
deiner Großmutter in unserem Zimmer zu schlafen. Ich möchte nicht, dass du allein schläfst. Der Dachboden bietet zwar zusätzlichen Schutz gegen magische Geschöpfe mit bösen Absichten, aber ich fürchte, unsere verbleibenden Feinde sind sterblich.«
Weil Ollock Seth gefressen hat und jetzt von der Bildfläche verschwunden ist, dachte Kendra bitter. »Ganz wie du willst«, sagte sie.
Die Zeit zum Schlafengehen kam für Kendras Geschmack viel zu früh. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, war das Abendessen gegessen, schmerzhafte Beileidswünsche ausgesprochen, und sie lag in einem riesigen Doppelbett neben Oma Sørensen. Kendra liebte ihre Oma, aber jetzt merkte sie, dass Oma zu stark nach Hustendrops roch. Außerdem schnarchte sie.
Kendra wälzte sich hin und her in dem Bemühen, eine bequeme Position zu finden. Sie legte sich auf die Seite, auf den Bauch und auf den Rücken. Sie knüllte die Kissen auf verschiedene Weise zusammen. Es hatte keinen Zweck. Nachdem sie den ganzen Tag geschlafen hatte, war sie eher in der Stimmung, Fußball zu spielen, als einzuschlafen. Dass sie angekleidet schlief für den Fall, dass sich tatsächlich während der Nacht jemand in Opas Netz verfing, half auch nicht gerade.
In ihrem Elternhaus hätte sie ferngesehen. Oder sich einen kleinen Imbiss gemacht. Aber die Einzigen, die in Fabelheim einen Fernseher hatten, waren die Satyre. Und aus Furcht, jemandem zu begegnen, der versuchte, sich in Opas Arbeitszimmer zu schleichen, wagte sie es auch nicht, aufzustehen und sich einen Imbiss zu machen.
Sie konnte keine Uhr in dem Schlafzimmer entdecken, weshalb die Zeit sich irgendwann endlos anfühlte. Kendra
versuchte immer wieder, sich ein Szenario auszudenken, in dem Seth nicht tot war. Schließlich hatte niemand gesehen, wie Ollock ihn gefressen hatte. Sie waren sich nicht hundertprozentig sicher. Am Morgen, nachdem sie den Dämon aufgespürt hatten, mochte es eine Gewissheit sein, aber heute Nacht konnte sie immer noch ein wenig hoffen.
Ein plötzlicher Tumult durchbrach die rastlose Eintönigkeit. Irgendjemand schrie, und etwas klirrte. Oma fuhr aus dem Schlaf hoch. Opa begann, um Hilfe zu rufen.
Kendra schlüpfte in ihre Schuhe und rannte zur Treppe. Unten brüllte Opa
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