Die Gesellschaft des Abendsterns
aus Leibeskräften.
Auf der Treppe begegnete Kendra Vanessa und Tanu. Vanessa hatte ihr Blasrohr dabei, Tanu den Beutel mit seinen Tränken. Oma war direkt hinter ihr.
Nachdem sie die Treppe hinuntergetrampelt waren, stürzten sie alle durch die Eingangshalle ins Arbeitszimmer, wo Dale in einem Netz auf dem Boden verheddert lag. Opa saß auf der Kante seiner Pritsche, ein Messer in der unverletzten Hand. »Wir haben jemanden mit der Hand in der Keksdose erwischt«, verkündete er.
»Ich hab’s dir doch gesagt, Stan«, keuchte Dale. »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.«
Tanu legte den Trank, den er in der Hand gehalten hatte, in seinen Beutel zurück. Vanessa ließ ihr Blasrohr sinken. Oma legte den Sicherheitsriegel ihrer Armbrust vor.
»Warum erklärst du es nicht allen?«, schlug Opa vor.
Dale lag auf dem Bauch. Das Netz hatte sich so fest um ihn zusammengezurrt, dass seine Gesichtszüge ganz verzerrt waren und er den Kopf kaum drehen konnte, um sie anzusehen. Seine Arme waren in unbeholfener Position auf seiner Brust überkreuzt, seine Beine eng zusammengebunden.
»Ich bin eingeschlafen und in diesem Zustand auf dem Boden wieder aufgewacht«, beteuerte Dale. »So einfach. Ich
weiß, nach was das für euch aussehen muss. Ehrlich, ich hatte nicht die Absicht, den Schlüssel zu stehlen. Ich muss schlafgewandelt sein.«
Dale sah verzweifelt aus und klang auch so. Opa kniff die Augen zusammen. »Du bist eingeschlafen und hier aufgewacht«, wiederholte er nachdenklich. Dann schien ihm etwas zu dämmern. »Der Verräter ist klug genug, um zu begreifen, dass ich sein Geheimnis jetzt kenne, es nützt also nichts, sich noch weiter zu verstellen. Alle Anzeichen führen zu einer offenkundigen Schlussfolgerung: Vertraute Freunde, die sich untypisch benehmen; Drumanten, die freigelassen werden, um die Bisswunden zu erklären; und jetzt versichert uns Dale, dass sein seltsames Benehmen im Schlaf geschah. Ich hätte schon viel früher eins und eins zusammenzählen sollen. Ich fürchte, dies wird in einem hübschen Handgemenge enden. Dale, es tut mir leid, dass du in einem Netz feststeckst. Tanu, wir dürfen das jetzt nicht vermasseln.«
Opa warf sein Messer nach Vanessa. Die hob ihr Blasrohr an die Lippen und duckte sich. Mit knapper Not entkam sie dem Messer, dann feuerte sie einen Pfeil auf Tanu ab. Der große Samoaner fing den Pfeil mit seinem Beutel ab. Vanessa sprang grazil auf Oma zu, schwang das Blasrohr wie einen Schlagstock und schlug ihr die Armbrust aus der Hand. Tanu griff Vanessa an. Sie ließ das Blasrohr fallen, förderte zwei winzige Pfeile zutage und stach Tanu in den Unterarm, als der sie ergreifen wollte. Sofort weiteten sich seine Augen, und seine Knie schienen zu Gummi zu werden. Der Beutel glitt aus seinen gefühllosen Händen, und Tanu stürzte hart zu Boden.
Oma griff nach ihrer herabgefallenen Armbrust; auf ihrer Hand bildete sich bereits ein roter Striemen. Vanessa stürzte sich auf sie und stach sie mit dem anderen kleinen Pfeil. Während Oma noch taumelte, ergriff Kendra die Initiative,
riss die Armbrust an sich und warf sie quer durch den Raum ihrem Opa zu — nur einen Sekundenbruchteil bevor Vanessa mit ihr zusammenkrachte.
Opa richtete die Armbrust auf Vanessa, die sich hinter den Schreibtisch duckte, so dass sie aus der Schusslinie war. Kendra sah, wie Vanessa ihre Augen schloss. Ihre Gesichtszüge entspannten sich.
Die Armbrust an sich geklammert, stand Opa von seinem Bett auf und humpelte auf den Schreibtisch zu. »Vorsicht, Kendra, sie ist eine Narkoblix«, warnte er.
Mit schnellen Bewegungen zog Tanu den in seinem Tränkebeutel steckenden Pfeil heraus, stürzte sich auf Opa und entriss ihm die Armbrust. »Lauf weg, Kendra!«, rief Opa noch, dann stach Tanu ihn mit dem Pfeil. Vanessa blieb wie in Trance auf dem Boden sitzen.
Bei seinem Angriff auf Opa hatte Tanu den Beutel mit den Tränken fallen lassen. Kendra packte ihn und schoss zur Tür hinaus. Sie hatte nicht alle Einzelheiten begriffen, aber es war klar, dass Vanessa Tanu kontrollierte. »Lauf«, keuchte Opa benommen.
Kendra rannte zur Hintertür hinaus auf die Veranda und sprang über das Geländer. Im Garten war alles dunkel. Die meisten Lampen im Haus waren ausgeschaltet. Kendra lief von der Veranda weg über die Wiese. Als sie sich umdrehte, sah sie Tanu durch die Tür stürzen und über das Geländer springen.
»Kendra, tu nichts Überstürztes, komm zurück!«, rief er.
Kendra gab keine Antwort und
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