Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
zu.
Mexiko, da würde sie auch gerne hinfahren, die Indianerpyramiden besichtigen, oder wie die Dinger hießen. Endlich schaltete er den Kasten ab, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Rosa, die den Geruch hasste, vergrub sich in seinen Brusthaaren, strich sanft über die Narbe.
»Woher hast du die?«, fragte sie.
»Von einem Spyderco.« Er hustete.
Schmerzte die Narbe noch, oder kam der Husten vom Nikotin?
»Ein Klappmesser«, fuhr er fort und sog heftig am Glimmstängel. »Mit einem Loch in der Klinge, damit man es mit einer Hand öffnen kann. Amerikanisches Fabrikat.« Plötzlich schien er weit weg zu sein. »Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, hab ich beschlossen, mein Leben zu ändern, und angefangen, in einem Friedensforschungsinstitut zu arbeiten. Du kannst auch mithelfen und Kundschafterin für mein Land werden.«
Sein Land, die DDR . Dass die was für den Frieden taten, war ihr neu. Aber vielleicht hatte sich das auch Honecker auf seine Fahnen geschrieben, als er in den vergangenen Tagen durch Westdeutschland gereist war.
»Das Ende des kalten Krieges ist in Sicht, da ist jeder Einzelne gefragt.«
Diese Floskeln erinnerten sie an das Gelaber ihres Chefs. Dessen Reden konnte man auch auf ein paar Worte zusammenstreichen. »Und wenn Frieden ist, fährst du mit mir dann nach Mexiko?« Sie legte ihm die Hand zwischen die Schenkel. Er zuckte zusammen, Asche fiel auf seinen erschlafften Penis. Sie blies sie fort, küsste die verbrannte Stelle, nahm ihn ganz in den Mund. Später würde sie für ihren Liebsten spionieren, versprach sie, wenn er darauf bestand.
6.
Vergeblich suchte Carina bis spät in die Nacht nach ihrem Wohnungsschlüssel. Wanda half ihr nur halbherzig dabei. War er ihr womöglich in der Arbeit aus der Tasche gefallen? Wanda sprach am Hauptbahnhof die Durchsagen, saß in dem grauen Kasten am Bahnsteig, kündigte die S-Bahnen an und wies die Fahrgäste zurecht, wenn sie zurückbleiben sollten oder nicht schnell genug einstiegen. Kurz nach Mitternacht, sie wühlte immer noch in den Flohmarktkisten, rief ihr Vater an. Typisch. Was, wenn sie bereits geschlafen hätte? Doch das schien ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein. Er teilte ihr mit, dass Eva Bretschneider dank Carinas Einsatz überleben würde. Die Ärzte hatten ihr eine Überdosis Schlaftabletten aus dem Magen gepumpt, den Arm verbunden und das Gesicht wieder angenäht. Spurlos anwachsen würde es nicht mehr. Mehrere Operationen würden nötig sein, damit sie den Mund wieder bewegen konnte.
»Eine Bekannte von Eva Bretschneider sagt, dass sie manchmal von Selbstmord gesprochen hat. Nur wegen dem Hund hätte sie es noch nicht in die Tat umgesetzt. Und apropos, Carina, kann so was ein Hund anrichten?«
Carina schwieg. Für eine Telefondiagnose war sie zu müde. Zunächst hätte sie Eva Bretschneider untersuchen und die Verletzungen mit dem Hundegebiss vergleichen müssen. Der Tierarzt kam ihr in den Sinn. Sie konnte ihn fragen, ob er es für möglich hielt, dass der Hund der Täter war. So hätte sie einen Grund, um den Tierarzt wiederzusehen. Sofort ärgerte sie sich über diesen Gedanken. Kaum lag etwas Schorf auf ihren Liebeswunden aus der Beziehung mit Lars, schon hielt sie nach einem Neuen Ausschau. Sie wusste ja nicht einmal, wie er hieß. Erschöpft wünschte sie ihrem Vater eine gute Nacht, gab die Schlüsselsuche auf und nahm Wandas Angebot an, bei ihr zu übernachten.
Zweiter Tag
Die Elster scharrte ein Loch, riss den Schlamm mit ihrem Schnabel überall auf und fand etwas Weißes. Es war ein Wirbel aus dem Rückgrat des Mannes, den brachte sie zu der jungen Frau zurück. Die Frau bedeckte den Wirbel mit ihrem Kleid und begann zu singen. Als sie das Kleid wegzog, atmete ihr Vater.
Aus den Mythen der Schwarzfuß-Indianer
7.
Angesichts des rotbraunen Kalkstreifens in Wandas Badewanne und des Schimmels am Duschvorhang wusch sich Carina am nächsten Morgen nur kurz am Waschbecken. Manchmal hatte es in Mexiko-Stadt kein Wasser gegeben. La Patria , das Vaterland, wie die Mexikaner ihre Hauptstadt liebevoll nennen, einst von den Azteken auf trockengelegten Seen erbaut, sank ständig weiter ab. Einmal war Carina von einem Beben erwacht. Das Nachbarhaus war abgerutscht, weil ein unterirdisches Wasserrohr geplatzt war. Zurück in Deutschland, sehnte sie sich nach etwas Komfort, wenigstens an ihrem ersten Arbeitstag, und ekelte sich vor der Schludrigkeit ihrer Schwester. Vor dem mit Zahnpasta verschmierten
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