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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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die ausschlagende Forelle in Schach zu halten, tauchte den Pinsel erneut in die Farbe und versuchte sich auf den Anstrich zu konzentrieren: auf und ab und auf und ab.
    »Das kannst du aber gut.« Ein kleines Mädchen mit einer Zahnlücke stand plötzlich neben ihm und strahlte ihn an.
    »Marie, komm«, rief die Kindergärtnerin. Er erschrak. Der Pinsel fiel ihm aus der Hand in den Dreck. Das Mädchen rannte davon.
    »Bist du bescheuert? Den machst du aber selber sauber.« Sigis Sabber sprühte bis zu ihm, und er stieß ihm so heftig in die Rippen, dass Romeo strauchelte.
    Nachdem er im Klohäuschen den Pinsel ausgewaschen hatte, hockte er sich in der Kabine auf den Klodeckel und zog Maries Hand aus der Hosentasche. Ganz langsam und zärtlich, so wie sie es immer gemacht hatte, wenn er in ihrem Schoß weinte, streichelte er sich mit ihrer Hand über den Kopf. Die Forelle verharrte und genoss es. Auf einmal knirschte es, die Spitze des Mittelfingers war abgebrochen und fiel zwischen Kippen, Klopapierresten und anderem Müll zu Boden. Romeo seufzte, bückte sich und suchte im Halbdunkeln danach, hätte fast ein Stück Wiener anstelle des Fingers auf die Hand gepappt. Neben einem Fünfcentstück fand er die Fingerkuppe endlich. Mit Klebeband, das er immer bei sich hatte, hielt es wieder. Nun knisterte es leise, wenn er sich berührte.
    »He, du Sau, bist du bald fertig?« Sabbersigi hatte sich hereingeschlichen. »Denkst du dabei an die Stadttussi mit den großen Titten? Hast du schon mal in so richtig dicke Titten gespritzt?«
    Unerträglich, der Kerl. Sirenen heulten auf, doch sie verklangen nicht wie sonst die vorbeifahrenden Einsatzwagen auf dem Altstadtring, sondern näherten sich, ohrenbetäubend. Schlagartig verstummten sie. Blaulicht flackerte durch die Luftschlitze im Klohäuschen.
    Sigi trat gegen die Tür und brüllte. »Ich hau ab. Wenn du den Bullen was von meinen Bildern erzählst, bist du tot.«

16.
    Kaum hatte Carina ihre Mutter zur U-Bahn gebracht, klingelte ihr Handy. Ihre Chefin war dran. Carina rechnete mit einer Zurechtweisung, inzwischen war sie zwei Stunden zu spät. »Leichenfund im Alten Botanischen Garten. Ihr Vater erwartet Sie dort«, sagte Paula Feininger stattdessen.
    War das jetzt eine Anweisung mit ihrer Zustimmung? »Um was handelt es sich?«, fragte Carina.
    »Kinder haben im Sand was ausgebuddelt.« Ihre Chefin seufzte. »Wir sind hier aber kein Familienbetrieb, Frau Kyreleis. Normalerweise teile ich meine Leute ein.« Sie legte auf.
    Mit schnellen Schritten durchquerte Carina die Fußgängerzone. Warum sagte Paula Feininger das Matte nicht selbst? Tag drei in München, und schon zerrten ihre Eltern sie hin und her. Voller guter Vorsätze, hatte sie nach dem Unfall in Mexiko den Brief mit dem Stellenangebot herausgekramt und beschlossen, nach München zurückzugehen. Ach, hätte sie doch nie diesen Unfall gehabt, dann wäre alles anders gekommen.
    Ebenso mürrisch, wie Paula Feininger am Handy geklungen hatte, stapfte Carina zwischen den Leuten durch und wischte sich mit dem Ärmel den feinen Wassernebel aus dem Gesicht, den der Wind vom großen Stachusbrunnen bis zu ihr wehte. Frau Salbeck kam ihr in den Sinn, die unter Fremden ihre tote Schwester gesehen zu haben glaubte. Beim Warten an der Ampel zum Justizpalast putzte Carina ihre Brille und versuchte ihren Zorn hinunterzuschlucken. Sie beschloss, Matte nach der Salbeck-Akte zu fragen.
    Zwischen den vier roten Säulen im Eingangsportal des Alten Botanischen Gartens durch, wo bis 1931 der riesige Glaspalast gestanden hatte, bis ihn die Nationalsozialisten abbrannten, folgte sie dem schnurgeraden Weg unter dem alten Baumbestand. Am Neptunbrunnen bog sie ab und wandte sich in Richtung der blinkenden Polizeifahrzeuge am Ende des Parks. Der Wind blies stärker, wirbelte Zeitungsfetzen und Herbstblätter über die Wiese. Die Kriminaltechniker in weißen Overalls sicherten das umzäunte Spielplatzgelände zusätzlich mit Absperrbändern. Auch zwei Leichenhunde waren im Einsatz. Zwischen einer Wasserpumpe und anderen Spielgeräten schnüffelten sie nach Spuren. Techniker bauten Lampen auf, der Himmel hatte sich stark verdunkelt. Den Spielplatz beherrschte ein Klettergerüst, das sich um eine hohe Eisenstange wand und einem riesigen, roten Spinnennetz ähnelte. Daneben stand ihr Vater wie eine abtrünnige Fliege und telefonierte. Vielleicht sprach er gerade mit ihrer Mutter; falls nicht, dann hoffte sie, dass ihr die passende Ausrede

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