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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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wischte sich mit dem Handschuh den Schweiß von der Stirn. Ein Wigwam, auf das der Regen trommelte. Sie hockte sich vor das Sandgrab, wartete, bis ihr Puls sich beruhigte und starrte auf den Leichnam in seinem Deckennest, konzentrierte sich, bis sie die Körperhaltung, jede Faser und jedes Sandkorn verinnerlicht hatte. Die Bilder konnte sie später wieder abrufen, fast als würde sie darüberschweben und alles aus Elsterperspektive betrachten.
    Tobias hatte Recht gehabt. Bis auf den Schädel, der vollkommen skelettiert war, glitzerte der Leichnam und warf das Licht der Lampen zurück. Vom Hals abwärts war der schmächtige Körper in Folie gewickelt, die Beine fest zusammengepresst, die Arme extra verpackt. Die Halswirbel lagen wie Spielsteine frei zwischen Schädel und Schultern, und der rechte Arm endete in einem Stumpf.

17.
    Es schüttete. Das T-Shirt klebte ihm auf der Haut, Wasser lief ihm in die Schuhe. Vom Laternenmast troff die Farbe, durchsichtig fast, doch er strich weiter. Auf und ab. Die Forelle schlug mit den Flossen und hüpfte, als suchte sie ein Schlupfloch hinaus in den Regen. Immer wieder klopfte er sich mit dem Pinselstiel an die Schläfen.
    Sie haben sie gefunden, nun nehmen sie sie dir ganz – und für immer aus deiner Erinnerung.
    Warum brauchte die Kapuzenfrau, die zu Marie unters Spinnennetz geschlüpft war, so lange? Was machte sie mit ihr? Die Kindergruppe war endlich verschwunden. Und auch er hielt es nicht mehr aus. Vor dem Eingang zum Spielplatz schwenkte er den Farbkübel und den Pinsel, zeigte so dem pferdeschwänzigen Polizisten, der Wache stand, dass er auch die Laternen im Spielplatz streichen musste.
    »Junger Mann, geh nach Hause. Die Farbe trocknet dir heute sowieso nicht mehr.« Unter der weit ins Gesicht gezogenen, tropfenden Schirmmütze lugte nur der von Bartstoppeln umkränzte Mund heraus. Romeo ließ sich nicht abwimmeln, stellte den Farbkübel ab, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und beobachtete das Geschehen, als stünde er bei Sonnenschein am Strand und genösse die Aussicht. Zu viert hoben sie Marie umständlich aus dem Sandbett, um sie in den Sarg zu legen, den zwei Bestatter gebracht hatten.
    Seine Hand umkrampfte die ihre in der Tasche, als beim Anheben die karierte Decke aufklappte und einen Totenschädel entblößte. Was war das? Wen hatten sie da gegen seine Liebste getauscht? Plötzlich begriff er, was unter der Plane geschehen war.
    Er zerquetschte Maries Hand zu einem bröseligen Klumpen.

18.
    Nachdem die Überreste geborgen und die Bestatter unterwegs in die Rechtsmedizin waren, verließ Carina das Spielplatzgelände. Es nieselte nur mehr. Bei jedem Schritt knirschte der Sand in ihren Schuhen. Im Klohäuschen zog sie die Handschuhe aus und nahm die Kapuze ab. Das Waschbecken neben der Tür war voller dunkler Spritzer. Sollte sie die Spurensicherung rufen? Sie drückte den Lichtschalter. Was im Dämmerlicht wie Blut ausgesehen hatte, war dunkelgraue Farbe, und ihr fiel ein, dass jemand die Laternen gestrichen hatte, als sie angekommen war. Derjenige hatte bestimmt auch längst das Weite gesucht, bei dem Wetter hielt keine Farbe. Sie spülte sich die Sandkörner von Nase und Brille, die sie vorhin mit dem schmutzigen Handschuh hochgeschoben hatte, und dachte an ihre Mutter, die vielleicht Krebs hatte. Was, wenn Silvia ihre Nase teilweise oder ganz verlor? Ein Plattenepithelkarzinom konnte bis zur Lunge streuen. Sie zuckte zusammen, als jemand sie ansprach.
    »Und, weißt du schon was?« Matte stand in der Tür.
    Hastig legte sie sich eine Ausrede zurecht. Am besten sagte sie, sie hätte Silvia nur begleitet, nichts erfahren und war bei Eva Bretschneider gewesen.
    »Die Todesursache?«, fuhr er fort.
    Klar, wie hatte sie nur denken können, er, ganz Kriminaler, könnte sich für seine Frau interessieren.
    »Der Schädel ist intakt, das Zungenbein gebrochen, was aber auch nach dem Tod passiert sein kann. Unter die Folie schaue ich erst im Institut.«
    »Mädchen oder Junge? Und kannst du sagen, wie alt das Kind war?«
    »Kein Kind.« Carina beugte sich tiefer übers Waschbecken. Sie hatte sich Sand ins Auge gerieben, spülte es mit Wasser aus.
    »Was?« Matte stieg aus seinem Overall und knüllte ihn zusammen. Wo war sie hin, seine legendäre Geduld? Ein neuer Zug ihres Vaters kam da ans Licht, und sie blickte neugierig auf.
    »Wie lange liegt es denn schon da, Kind oder Zwerg oder sonst was?« Er knüllte den Overall zusammen. Zu ihm sprach der Leichnam

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