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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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Hinterhauptsfläche, alles deutet auf eine Frau hin.« Wo sich einst die Nase befunden hatte, sah man nur noch die Nasenhöhle. Schnell verdrängte sie den Gedanken an ihre Mutter und konzentrierte sich wieder auf die Tote. Die Nachbildung der Nase war bei einer Gesichtsrekonstruktion immer der schwierigste Teil, weil die Nase hauptsächlich aus Knorpeln und Weichgewebe besteht, und das fehlte an einem Schädel. »Im Kiefer sind Anlagen von Weisheitszähnen zu erkennen, sie war also kein Kind mehr. Auch die großen Schneidezähne und die kleinen Eckzähne im Vergleich zum Gaumenbogen zeigen, dass sie bereits eine junge Frau gewesen sein muss.« Carina betrachtete die Schneidezähne unter der Lupe, sie waren an den Kanten abgenutzt, wie es eigentlich sonst nur bei alten Leuten der Fall war.
    »Fassen wir zusammen.« Die Professorin schabte sich mit den Handschuhen über den verspannten Nacken. »Der Täter wollte die Leiche beseitigen und zerstückeln, was ihm nicht gelungen ist. Stattdessen hat er ihr das Gesicht weggeätzt oder verbrannt, um eine Identifizierung zu erschweren.« Feininger beugte sich wieder vor und schnupperte am oberen Folienende, das sich wie ein Rollkragen um den Schädel schloss. »Nach was riecht das?«
    Carina sog den Geruch ein und musste sofort an ihren Kulturbeutel denken, in dem noch Cremes aus Deutschland von vor zwei Jahren lagen. »Ranzig«, stellte sie fest. »Ein bisschen wie abgelaufene Hautcreme.«
    »Kein Wunder«, Feininger nickte zustimmend. »Hätte die Leiche gestunken, wäre sie früher auf dem Spielplatz gefunden worden.«
    Sie wandten sich dem Armstumpf zu. Auch hier war die Folie gleichmäßig abgeschnitten. Carina untersuchte die Wundränder, aus der die Knochen ragten. »Traumatische Amputation. Die Spuren an Speiche und Elle zeigen, dass die Hand abgesägt, nicht wie es ein Fuchs oder anderes Tier tun würde, abgebissen oder aus dem Gelenk gedreht wurde.« Sie betrachtete die Schnittflächen unter der Lupe. »Ähnlich wie die Schabespuren am Kinn sieht es hier nach einem scharfen Werkzeug aus, das mehrmals angesetzt wurde, bis die Abtrennung gelungen ist. Das müsste ich mir unterm Mikroskop ansehen.« Mit der Pinzette zog sie kleine vertrocknete Klümpchen aus dem Armstumpf und hielt sie gegen das Licht. »Fliegeneier. Der Fundort ist nicht der Tatort, oder das Grab wurde nochmal geöffnet und wieder verschlossen.«
    »Was ja bei einem Sandkasten im Spielplatz durchaus möglich ist.« Die Professorin lehnte sich an einen Schrank, dessen Inhalt klirrend rebellierte. »Aber Kinder würden die Leiche doch ganz ausbuddeln, wenn sie sie entdeckt hätten.«
    »Und wir fänden Insekten in verschiedenen Stadien«, erklärte Carina. »Es sei denn, sie wurde im Winter vergraben.«
    Feininger kniff die Augen zusammen, bis sie fast in ihrer Haut verschwanden. »Ich habe in forensischer Entomologie dissertiert.«
    Carina biss sich auf die Lippen. Sie wusste zwar, dass die Professorin in zahlreichen Gremien und Gesellschaften tätig war, aber dass Insektenkunde ihr Fachgebiet war, hatte sie nicht registriert.
    Die Chefin stieß sich vom Schrank ab; Carina glaubte schon, sie würde sich auf sie stürzen und sie zermalmen, doch sie griff nur zum Scherentablett. »Das Zeug muss weg.«
    Stück für Stück, als würden sie große Mengen Klebeband abziehen, entfernten sie die Folie. Dr. Herzog legte die Streifen in Tüten, die er später nach Fasern, Haaren oder anderer Täter- DNA untersuchen würde. Es war eine anstrengende Prozedur, die sie trotz der Kühle im Saal ins Schwitzen brachte. Die vielen Schichten hauchdünner Frischhaltefolie waren fest zu einer verschmolzen. Hautpartikel klebten daran. An manchen Stellen nässte es noch, und wo der tote Körper aufbrach, stank es faulig. Carina hatte sich mit den Jahren an den Leichengeruch gewöhnt und nahm ihn nur noch am Rande wahr, so als beträte sie ein überheiztes Zimmer voller Leute. Doch wenn wie jetzt der Verwesungsgestank überraschend den Essensgeruch der Chefin verdrängte, musste auch Carina hastig schlucken. Die ledrig braune Haut war haarlos. Busen und Geschlechtsteil eingetrocknet. Sie entdeckten keinen Schmuck, kein Piercing, kein Tattoo, das bei der Identifizierung helfen würde. Auch keine Narben. Mit Hilfe von Dr. Herzog maß Carina den Leichnam von den Füßen bis zum Scheitelpunkt. »Ein Meter vierundfünfzig.«
    Die Professorin war zurückgewichen, lehnte sich wieder an den Schrank. Zuerst glaubte Carina, sie hätte

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