Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
Kreuzung.
Wandas graugestreifte Häkelmütze passte wie abgemessen auf Mattes Topfschnitt. Ihr Vater glich damit einem verstaubten Lampenschirm. Wanda – was, wenn ihr nun doch etwas zugestoßen war? Andererseits hatte Frau Dornbeck mit Musik vielleicht bloß auf den Rhythmus des Bettgequietsches angespielt.
»Was ist eigentlich mit deinem Freund Krallinger?«, fragte Carina.
»Wieso, was soll mit ihm sein?« Er schüttelte sich, fror wohl immer noch. »Wir haben einen Kaffee zusammen getrunken, weiter nichts.«
»Wenn du auf dem Bahnsteig nicht auf ihn zugegangen wärst, hätte er dich vielleicht gar nicht angesprochen«, bohrte sie nach.
»Kann sein. Worauf willst du hinaus?«
Sie spürte, dass ihr Vater etwas vor ihr verbarg. »Wart ihr gut befreundet früher?«
»Wir haben in der gleichen Abteilung gearbeitet, frag Silvia. Mit einem Kollegen ist man oft mehr Stunden zusammen als mit der Ehefrau. Aber befreundet – das wäre zu viel gesagt. Krallinger wollte immer hoch hinaus, hoffte verbissen auf eine Beförderung. Er stammt aus Leipzig, ist acht Jahre vor dem Mauerfall rübergekommen, um hier zu studieren, dann aber zur Polizei gegangen.«
»Hier studieren? War das so einfach damals?«
Ihr Vater zuckte mit den Schultern. »Nicht jeder war bei der Stasi, falls du das meinst. Kurti ist ein paar Jahre älter als ich, ich hab seine Lebensgeschichte nie hinterfragt.«
»Das glaube ich dir nicht«, platzte es aus Carina heraus. »Dann wäre er der erste Mensch in deiner Umgebung, den du nicht abgecheckt hast.«
Matte seufzte. »So arg ist es mit mir? Das mit deinem Freund, das war doch nur, weil er alles über den Banküberfall von 2005 wusste und … «
Carina lachte schallend. »Das hat Lars gelesen, in irgendeinem Krimi, und wollte deine Meinung dazu hören.«
Ihr Vater grinste. »Vielleicht sollte ich auch mal einen Krimi lesen.« Er holte Luft. »Carina, du kannst mir vertrauen, hörst du. Ich spioniere dir nicht mehr hinterher, ehrlich.«
»Ich nehme dich beim Wort. Aber erzähl weiter von Krallinger.«
»Als ich gerade zum ersten Mal befördert wurde, hat er bei der Mordkommission gekündigt und ist zum Bundeskriminalamt gewechselt. 1986 war das, also noch vor der Wende. Er war übereifrig, wollte sich unbedingt gegen den RAF -Terror engagieren.«
»Er hat sich bei meiner Chefin beschwert, weil ich eine DNA -Analyse von Rosa Salbecks Haar in Auftrag gegeben habe.«
»Interessant, mir gegenüber hat er nichts erwähnt.«
»Was wollte er in München?«
Matte zuckte mit den Schultern. »Urlaub machen. Er hat ein Wochenendhäuschen am Starnberger See, jedenfalls war das damals noch so, vielleicht hat er es auch verkauft oder vermietet. Meinen Vorschlag, bei uns zu übernachten, hat er jedenfalls abgelehnt.«
»Traust du ihm zu, dass er eine Akte manipuliert hat?« Langsam tastete sie sich vor.
Wieder lachte ihr Vater, doch diesmal klang es nicht fröhlich. »Wennwirkurti traue ich alles zu. Er ist und bleibt ein aufgeblasener Sack. Wenn wir erst das und das sind, sagte er immer – da bezog er mich noch mit ein. Für ihn ging es nicht um die Mordaufklärung, sondern um den Erfolg, die Lobreden des Polizeipräsidenten. Allerdings gab’s da kaum welche, weil wir meist schon mitten in der nächsten Ermittlung steckten. Er lebte immer einen Tag voraus, hörte kaum zu und war wenig beliebt in der Abteilung. Meinst du die Salbeck-Akte?«
Carina nickte.
Matte kratzte sich unter der Häkelmütze. »Ich hielt es für Zufall. Aber im Nachhinein war es vermutlich keiner. Am Tag meiner Beförderung zum Hauptkommissar hab ich ihn mit seiner Lebensgefährtin vorm Innenministerium getroffen, im geschniegelten Anzug. Geradezu symbolisch; immer wenn ich befördert wurde, war irgendwas mit Kurti. Wir hatten uns Jahre nicht mehr gesehen, und ich habe ihn ein bisschen aufgezogen. Tragische Geschichte mit seiner Frau, sie soll mit irgendeinem aus Ostdeutschland durchgebrannt sein, hieß es. Bei dieser Isartoten, ein halbes Jahr später, haben wir uns dann in der Rechtsmedizin wiedergetroffen. Damals habe ich mich gewundert, dass er wegen einer Selbstmörderin extra aus Wiesbaden anreist. Aber er hat behauptet, sie ist eine Angestellte des Innenministeriums, weshalb der Fall auch in den Bereich des Bundeskriminalamts fiel, also in seinen. Ich musste es akzeptieren. Manchmal hat es mich gewurmt, wenn ich an Wennwirkurti dachte, aber die Sache wurde von anderen Fällen überlagert und geriet in den Hintergrund.«
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