Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen
völlig korrekt gehandelt. Aber wie oft muss ich Sie noch ermahnen? Sie handeln mir zu eigenmächtig.«
»Luise Salbeck glaubt, dass ihre Schwester, die 1997 beerdigt wurde, noch lebt.« Kaum war es ausgesprochen, wurde ihr bewusst, wie mager das klang. Frau Salbeck hatte es irgendwie überzeugender formuliert.
Feininger lehnte sich zurück und wippte in ihrem Stuhl. »Ach, und wegen einer Untoten veranlassen Sie einfach so eine Analyse? Was glauben Sie, wie viele Esoteriker hier rein- und rauslaufen würden, wenn wir es erlaubten? Auferstandene, Geister, Wiedergeborene. Fühlen Sie sich unterfordert, soll ich Sie wieder mehr bei den Sektionen einteilen?«
»Ich weiß, ich hätte fragen sollen«, gestand Carina.
»Und warum haben Sie es nicht getan?«
»Ich habe auch eine Schwester.« Und die ist gerade spurlos verschwunden, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie schob ihre Brille hoch. »Frau Salbeck tat mir leid.«
»Sie bieten also jedem, der eine Schwester hat und mit einer absurden Bitte an Sie herantritt, unsere Dienste an?« Die Chefin seufzte, dann musterte sie Carina mit einem unergründlichen Ausdruck. »Meine Schwester ist bisher leider nicht von den Toten auferstanden, so gerne ich es auch hätte. Sie hat sich mit vierzehn das Leben genommen.«
»Das tut mir leid. Wie alt waren Sie da?«
»Zehn, ich hab sie in der Badewanne gefunden, im Ferienhaus meiner Eltern, sie lag schon zwei Tage dort.« Carina sah auf einmal eine junge, auch damals schon pummelige Paula vor sich, die von einem Tag auf den anderen die Große sein musste und stark für zwei.
»Ich möchte, dass Sie sich zukünftig in allen Belangen an mich wenden. Schließlich muss ich Ihre Stelle beim Institutsleiter festigen. Ihr Erfolg mit der Gesichtsrekonstruktion hilft zwar fürs Erste, aber trotzdem steht alles noch auf wackligen Beinen.«
Carina atmete auf und gelobte, sich nicht mehr zu Gefälligkeiten jenseits der Dienstvorschriften überreden zu lassen.
»Diese Salbeck-Sache ist ein Fall des Bundeskriminalamts, also lassen Sie die Finger davon, solange uns keiner beauftragt. Es hat sich doch sonst nichts ergeben, was ich wissen sollte?«
Carina überlegte, das mit der Akte musste sie gestehen. »Also, ich … «
Feiningers Telefon klingelte. »Heute ist wieder mal der Teufel los«, schimpfte sie und hob ab. Sofort änderte sich ihr Tonfall von sauer zu süß, als spräche sie mit einem Kleinkind. »Warte einen Moment«, säuselte sie in den Hörer, drückte ihn an ihren mächtigen Busen. »Was wollten Sie sagen?«
»Es gibt neue Erkenntnisse im Fall Bretschneider, die Kriminalpolizei bittet mich nochmal um Mithilfe bei einer Tatortbegehung.« So konnte man es ja im weitesten Sinn bezeichnen.
»Eigentlich reicht es mir mit Ihren Vater-Tochter-Ausflügen. Aber wenigstens fragen Sie mich um Erlaubnis; und Sie berichten mir danach, ja?« Sie drehte ihr den Rücken zu. »Hallo Purzelchen, jetzt bin ich wieder ganz Ohr.«
Bevor Carina ging, riskierte sie einen Blick auf die Haftnotiz. Krallinger stand da, der Affenfreund ihres Vaters.
49.
Sie trafen sich vorm Blütenblatt in der Herzogspitalstraße. Die erste Frage galt Wanda, sie hatte sich noch immer nicht gemeldet. Sollte sie bis zum Abend nicht auftauchen, würde Matte eine Fahndung einleiten. Doch er behauptete noch immer, dass so ein Techtelmechtel meist nicht lange dauerte. Und er musste es wissen, zusammen mit Silvia hatte er einiges in den zwei Jahren ihrer Abwesenheit mitgemacht.
Im Laden roch es, als hätte man die Düfte der ganzen Welt zusammengeschüttet. Nach Arten sortiert füllten die Blumen farbige Blecheimer auf dem Boden. In einem verschnörkelten hellgrünen Regal hinter der Verkaufstheke lagen kunstvoll gesteckte Buketts. Eine große, abgezehrte Frau schob eine Tür auf, schlang sich das Schürzenband zweimal um den Leib und begrüßte sie. Carina lugte in den Nebenraum, mehrere Mitarbeiter arbeiteten an Sträußen und Gestecken. Dort sah es weniger aufgeräumt aus, Blütenteile, Blätter und Stängelreste lagen herum. Matte Kyreleis zeigte seinen Polizeiausweis und gab Carina als seine Kollegin aus. Bei der Mordkommission schien Lügen erlaubt zu sein, dachte Carina.
Er legte drei grobkörnige Vergrößerungen von Eva Bretschneiders Wohnzimmertisch auf den Verkaufstresen. »Frau Muth, Sie können sich also an den Kunden erinnern, der diesen Strauß gekauft hat?«
Die Floristin betrachtete die Fotos, nickte dann. »Den habe ich mir gemerkt: eine rote
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