Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
Vom Netzwerk:
noch nicht dazu gekommen, ihn aufzumachen.«
    Einunddreißig Jahre lang war sie für sie da gewesen, weil ihre richtige Mutter versagt hatte. Was sollte sie sagen, wie beginnen? Ich weiß inzwischen, dass du mich nicht geboren hast ? Wer war ihre richtige Mutter gewesen? Carinas ganzes Leben lang hatte Silvia so getan, als wären sie eine Familie, ein Fleisch und Blut. Silvia Kyreleis, engagierte Münchner Hebamme, hatte die Adoption vertuscht. Oder vielleicht wussten es ja alle, nur sie, die einfältige Carina, hatte nichts bemerkt. Vielleicht wusste sogar Wanda, wo auch immer sie steckte, dass sie nur Halbschwestern waren.
    Endlich kam ein Arzt und berichtete, dass Matte außer Lebensgefahr war. »Die Operation ist gut verlaufen, ein Bauchschuss. Wir konnten das Projektil entfernen. Er liegt im Aufwachraum.«
    Carina schluckte, dann räusperte sie sich. »Kann ich das Projektil sehen?«
    Da drehte Silvia durch. »Fängst du jetzt auch an, so rumzuspinnen wie Matte? Gibt es denn nichts anderes auf der Welt als Verbrecher? Eure Scheißarbeit kotzt mich an, nur Leid und Tod, und das haben wir nun davon! Ich hab immer gewusst, dass es irgendwann so weit kommt. Jede Polizistenfrau weiß das. Die Angst war mein Trauzeuge. Wehe, er macht sich jetzt davon, wehe!« Sie schleuderte das Taschentuch beiseite und funkelte den Arzt an. »Kann ich zu ihm?«
    Der Arzt nickte. Als Silvia losmarschierte, blieb sie einfach stehen. Nach wenigen Schritten drehte sich Silvia um. »Was ist?«
    Carina musste hier raus, es schnürte ihr die Luft ab. Sie wollte ihren Vater jetzt nicht sehen. Hastig zog sie die Schachtel mit dem Projektil aus ihrer Tasche. »Können Sie das noch der Polizei übergeben?« Sie wartete gar nicht die Zustimmung des Arztes ab, sondern wandte sich um und lief zum Ausgang. Ihr Handy klingelte, da sie vergessen hatte, es auszuschalten, und sie ließ es klingeln, bis sie draußen war. Erst auf dem Gehweg, als das Krankenhaus außer Sichtweite war, blieb sie stehen, atmete durch und ging dran.
    Es war Clemens. »Wie geht’s dir?«
    Er wusste nichts von ihrem Vater, wie auch. Mehr als ein leises »Gut« brachte sie nicht zustande. Er wirkte erleichtert, plapperte etwas von seiner Exfrau, mit der er im Bad diskutiert hatte, nur diskutiert, als Carina anrief. Seit elf Monaten waren sie getrennt, doch seine Tochter wünschte sich, dass sie wieder zusammenkämen.
    »Und, ist das so?«, fragte Carina tonlos. Es interessierte sie nicht wirklich, sie klammerte sich nur an seine Stimme, jede Ablenkung war ihr recht.
    »Ich wollte Becky abholen, da hat mich meine Exfrau ins Bad gerufen. Ich meine, wir waren drei Jahre verheiratet, ich habe sie schon mal nackt … «
    Sie klickte ihn weg und schob das Handy in ihre Tasche zurück. Erst da bemerkte sie, wie ihre Hände zitterten. Sie drehte sich an eine Plakatwand und ließ den Tränen freien Lauf.

58.
    Als Erstes beschloss sie, den Hund loszuwerden. Sollte sich doch Eva Bretschneiders Verlobter oder Geliebter oder was auch immer um ihn kümmern. Ihr eigenes Leben reichte für zwei, auch wenn sie das vor Mattes Geständnis noch nicht gewusst hatte; sie musste das Erlebte erst mal sortieren. Dabei konnte sie keinen Leihhund gebrauchen. Als Nächstes wollte sie Wanda suchen, ihre richtige oder nur halbe Schwester, egal. Hauptsache, sie tat etwas, irgendwas, damit sie nicht denken musste.
    Zu Hause sprang ihr Gandhi schon entgegen, er freute sich aufs Gassigehen. Sie hängte ihn an die Leine, steckte einen neuen Bleistift in die Tasche. Zeichnen oder Modellieren hatte sie immer noch am ehesten beruhigt.
    Am Karlsplatz stieg sie die Unterführung hoch. Es hatte zu regnen aufgehört. Der Wind raschelte in den Bäumen, als sie in der Abenddämmerung durch das Tor am Alten Botanischen Garten trat. Genau wie vor ein paar Tagen nachts auf dem Ostfriedhof. Schnell verdrängte sie die Gedanken an Clemens, sollte er doch herumplanschen, mit wem er wollte.
    Der Spielplatz war noch mit Absperrbändern gesichert, die im Wind flatterten. Ein Unimog der Stadtverwaltung stand verlassen vor einem großen Sandhaufen. Ob Kinder je wieder ganz unbedarft in dem Sandkasten spielen würden? Hatte Maries Mörder bedacht, dass der Sand regelmäßig ausgewechselt wurde? Das hatte ihr Vater bestimmt schon überprüft. Aber auch an ihn wollte sie jetzt nicht denken. Sie trat zu dem großen Klettergerüst, dessen gespannte Seile rot leuchteten. Trotz des vielen Regens der letzten Tage stand in der Grube kein

Weitere Kostenlose Bücher