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Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen - Fey, S: Gesichtslosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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und Seitenzahlen. Sie strich sich den erkalteten Heiligenbrei auf den Ausschlag. Ein Wunder, das linderte den Juckreiz. Zwar lugten fortan, auch während der Arbeit, immer ein paar Wörter oder Wortfetzen unter ihren Ärmeln heraus, Martyr , Götzenopfe , Passion , ilch und Blut – doch wenigstens konnte sie sich wieder konzentrieren und die kopierten Dokumente mit den neuesten Erkenntnissen aus Büchern und Zeitungsartikeln vergleichen.
    Mit den Jahren war es still um die Aufklärung des Attentats geworden, alle Spuren liefen ins Leere, Verdächtige ließ man frei. Als sich das Herrhausen-Attentat zum achtzehnten Mal jährte, wurde erstmals behauptet, die Stasi wäre an dem Attentat beteiligt gewesen. Sie hätte die RAF -Terroristen ausgebildet und die technische Ausstattung geliefert. Doch diese Erkenntnis blieb ohne Folgen. Zwei Jahre später, Herrhausen war zwanzig Jahre tot, fassten viele Journalisten die Widersprüche zusammen; inzwischen waren die Täter, die dritte Generation der RAF , völlig gesichtslos geworden. Die Umständlichkeit der Baustelle rückte in den Blickpunkt; auffälliger konnte man einen Tatort nicht inszenieren. Was also, wenn es nur eine Attrappe gewesen war, um von einer Fernzündung an Herrhausens Fahrzeug abzulenken? Außerdem hätte die Bombe den angeblich panzersicheren Wagen nicht durchschlagen dürfen. Kurz nach der Explosion lebte Herrhausen noch; er verblutete, weil ein Metallstück von der Tür ihn am Oberschenkel getroffen hatte. Die Leibwächter hätten ihn vielleicht retten können, aber sie trauten sich aus Angst vor einer weiteren Detonation nicht näher heran – zumindest wurde das später behauptet. Hatte vielleicht jemand den Wagen manipuliert? Die Innenausstattung hätte sich nicht lösen dürfen, das ergaben Tests nach dem Attentat. Nichts war doch so sicher wie ein deutscher Mercedes. Wer, wenn nicht Herrhausen als Vorstand des Daimler-Benz-Unternehmens, hatte ein Recht auf den besten und sichersten Wagen?
    Es schien, als wäre das Attentat, das es eigentlich laut »K 106« gar nicht geben durfte, von allen nur denkbaren Seiten vorbereitet worden. Herrhausen sollte nicht davonkommen; falls er nicht gleich durch die Bombe umkam, dann würde man ihn im Wrack sterben lassen.
    Wieso hatte das erste Begleitfahrzeug beschleunigt, als es die angebliche Lichtschranke durchfuhr? Wussten die Personenschützer, dass hinter ihnen gleich eine Bombe explodieren würde? Welchen Sinn ergab eine vorausfahrende Leibwache, wenn sie die Schutzperson im Stich ließ? Rosa wusste, wer den Wagen gefahren hatte, ein BKA -Beamter, der sich über Sonderschichten beklagte – der Brief lag den kopierten Dokumenten bei. Der Beamte war auch auf einem der Zeitungsfotos zu sehen, hinter Herrhausens Wrack. Er drehte sich leicht weg und gab sein Feuermal preis, das man auch für einen Druckfehler halten konnte, ein paar Punkte zu viel Magenta. Wäre sie eine Heilige, würde sie zu einer Zeitung gehen, ihnen die Dokumente hinlegen und sagen: Hier, rollt den Fall neu auf. Aber glaubte man einer Mörderin? Ihr Sohn und ihre Schwester lebten besser mit dem Wissen, dass sie nicht mehr existierte. Regina Sommer lebte, Rosa war tot.

56.
    »Warum gehst du nicht ans Telefon? Fromm erreiche ich auch nicht. Es eilt. Ruf zurück!«, lautete die erste Nachricht auf Carinas Mailbox. Wenige Minuten später hatte ihr Vater gesagt: »Was ist, warum meldest du dich nicht? Ein Kollege von der Streife hat jetzt Frau Dornbeck, Wandas Nachbarin, befragt. Es war kein Geigenkasten, den sie da gesehen hat, eher ein Akkordeon meinte sie – ihr Bruder hatte auch mal eines – , es könnte aber auch ein Keyboard oder ein anderes elektronisches Gerät gewesen sein. Sie hat ja nur die geschwungene Form gesehen mit den Schließen wie bei einem Instrumentenkasten. Wanda hat wohl laut gesungen, und er hat dazu mit den Händen auf das Treppengeländer getrommelt. Wandas Arbeitskollegin, diese Tina, ihr hat Wanda von einem jungen Musiker vorgeschwärmt, einem Saxophonisten oder Cellisten, glaubt sie. Langsam haben wir das ganze Orchester durch. Aber wo der wohnt, oder wie er heißt, weiß sie auch nicht. Ich fahre nachher zu Tina und zeige ihr das Phantombild, das wir dank der Floristin haben. Aber jetzt stell dir vor: Ich bin in Krallingers Haus in Feldafing. Ein Nachbar hat mich vor der Einfahrt abgefangen, weil er dachte, das Haus stünde endlich zum Verkauf frei. Krallinger sei nie wieder hier gewesen, behauptete er. Ein Mief

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