Die Gespenster von Berlin
Yap Cheng Hai zeigte sich nicht dogmatisch. Er war begeistert. »This is a really good place for you and your business. Only good people! No rubbish!« Er sagte, er habe auf seiner Trancereise erfüllte, zufriedene Seelen angetroffen, vor allem sehr viele Künstler. Nur ein Einziger unter ihnen sei sehr traurig und ruhelos, ein Schriftsteller mit Ziegenbart, der habe ein Alkoholproblem gehabt. Aber man müsse keine Angst vor ihm haben, er werde auf seiner Seite bleiben und ihr nichts antun. Und wirklich, das Nebeneinander von toten Künstlern und lebenden Medienleuten funktioniert wunderbar. Frau Mohn führt durch weitläufige, belebte Höfe. Dann zeigt sie auf eine Intarsienarbeit im Boden des Seitenflügels, zwei kreisförmig eingefasste Siebensterne. Es sind die Zeichen eines Druidenordens, der hier früher ansässig war. Das habe ihr eine alte Frau erzählt, die auf den Hof kam, um die Intarsien des Druidenordens abzuzeichnen, sagt Minna Mohn. Sie habe das geprüft und herausgefunden, dass der Siebenstern als Pathosformel für Dinge wie Einigkeit, Frieden und Eintracht steht. Also noch mehr good vibrations ! Als wäre das nicht Sensation genug, präsentiert sie im Vorderhaus eine Freske auf einem versteckten Treppensims, an der man achtlos vorbeigeht, wenn man nicht eingeweiht ist: Zirkel und Winkel, das Zeichen der Freimaurer, die hier einst eine ihrer geheimen Logen hatten. Die Konzentration an Zeichen der Vergangenheit in direkter Nachbarschaft zum Dorotheenstädtischen Friedhof ist schwindelerregend. Minna Mohn verabschiedet sich, sie hat so viel Business zu tun.
Ein Teil der Geschichte fehlt noch. Was genau geschah an dem vorherigen Firmensitz von Minna Mohn, dort, wo während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter untergebracht waren? Was war das für ein Spuk, der sie bewog, diese Adresse aufzugeben? Und spukt es immer noch? Die Antworten darauf lassen auf sich warten. Minna Mohn reagiert nicht auf weitere Nachfragen und Mails, und bei ihrer Sekretärin ist kein Durchkommen. Minna Mohn hat keine Zeit mehr für Geisterjäger, es muss ohne sie weitergehen. Das Haus steht am Tempelhofer Ufer in Kreuzberg, in der Nähe des Halleschen Tors. Im Vorderhaus befinden sich ein Hostel, im Hinterhaus ein Ableger des Theaters Hallesches Ufer und eine Tanzakademie. Über den Hinterhof ist Musik zu hören, englisch gebrüllte Kommandos, probende Tänzer. Der Hof ist gepflegt, aber nicht einladend. Am Ende angelangt, auf dem zweiten Hof, blickt man auf eine unverputzte braungraue Fassade eines Mietshauses aus der Parallelstraße. Jeder einzelne windschiefe Ziegel ist zu sehen. In Neapel wäre das malerisch, hier wirkt es wie ein kaputter Gruß aus einem zahnlosen Maul. Ein breiter langer Mann mit silbergrauen Haaren steht vor einer ausgebauten Remise und bemerkt den unsicher herumsuchenden Blick.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Tag. Ich interessiere mich für alte Häuser und deren Geschichte. Wissen Sie zufällig etwas über die Zwangsarbeiter von Telefunken, die hier früher untergebracht waren?«
»Nee, hier gab es keine Zwangsarbeiter. Hier war eine Dreherei. Schauen Sie mal.«
Er winkt, man darf die Remise betreten, in der sich ein professionelles Fotoatelier befindet. An der Wand hängtein Plakat, überlebensgroß zeigt es den ehemaligen grünen Außenminister Joschka Fischer. »Sind Sie zufällig Jim Rakete?«
»Ja!« Der Fotograf deutet auf Decke und Wände, wo sich grau getünchte Stahlträger befinden. Dazu Stummel von Kranhaken, Querstreben. »Das alles gehörte zu der Dreherei«, sagt er. »Einmal kam ein alter Mann vorbei, der erzählte mir, er hätte hier als junger Mann eine Ausbildung zum Dreher gemacht.«
»Was macht eigentlich eine Dreherei?«
»Keine Ahnung. Was genau interessiert Sie an alten Häusern?«
Der Mann will es wissen, also soll er es wissen.
»Ich suche unheimliche Geschichten über Spuk und Gespenster.«
Er nickt, dann erzählt er von einem Buch des russischen Fotografen Jewgeni Chaldej, der im Mai 1945 mit der Roten Armee nach Berlin kam. Das sei der Mann gewesen, der das berühmte Foto von der gehissten Fahne auf dem Dach des Reichstags gemacht hat. Dieser russische Fotograf war auch am Halleschen Tor und fotografierte die eingestürzte U-Bahn-Brücke im Landwehrkanal, die umherirrenden Menschen und die Bombenschäden. Jim Rakete sucht das Buch des russischen Fotografen in Stapeln und Regalen, auf Tischen, aber er kann es nicht finden. Er sagt, er hat es vermutlich seinem
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