Die Gespenster von Berlin
verschüttetes Kellersystem.
»Von den baulichen Maßnahmen her waren die Nummer 8, 9 und 10 miteinander verbunden und von quasi-militärischen Strukturen geprägt.«
»Würden Sie meinen, dass das Haus unheimlich ist, eine besondere Atmosphäre von ihm ausgeht? Es gibt ja Leute, die sich regelrecht fürchten, wenn alte Häuser alte Geschichten verströmen, die finden das gruselig und stellen sich sonst was vor.«
Diese leise Andeutung, welches nicht ganz alltägliche Thema hier eigentlich berührt werden soll, kommt daher wie eine Angel mit einem halben Wurm dran. Da kann etwas anbeißen, muss aber nicht. Doch erfährt die Sache nun eine entscheidende Wendung. Der freundliche Mann am Telefon liefert das Gespenst vom Tempelhofer Ufer.
»Ach, Gespenstergeschichten suchen Sie! Ja, den Spuk kann ich Ihnen sehr leicht erklären. Hier spukt es wirklich, jemand machte Dinge, die Geister auch tun. Und Spuk hatten wir reichlich!«
In dem Gebäudekomplex, so erzählt der Mieter, trieb jahrelang ein Hauswart sein Unwesen. Dieser Hauswart habe selbst über die Jahre vier verschiedene Wohnungen in Vorderhaus und Quergebäude bewohnt – »der hat hier überall sein Pipi gemacht« – und wenn er neuen Mietern die Schlüssel ausgab, behielt er immer welche für sich ein. Der Mann habe den Ort durch Präsenz und Einmischung regelrecht in Besitz genommen. »Kontrolliert, verwaltet, terrorisiert«, sagt der so freundlich Auskunft gebende Mann am Telefon. Der Hauswart sei in Wohnungen eingebrochen, habe fremden Besitz beschädigt, Leute bedroht. Jahrelange Beschwerden hätten nichts bewirken können. Als schließlich herauskam, dass der Hauswart den Keller als Drogenumschlagplatz zur Verfügung stellte, und man ihn auf frischer Tat bei irgendeinem neuen Mist ertappte, sei man ihn endlich losgeworden. »Er hat Amt und Wohnung verloren. Aber manchmal geistert er hier noch rum. Ich hab ihn schon wieder rumgeistern sehen. Aber wenn er mich sieht, haut er ab. Er weiß, von mir kriegt er was auf die Fresse.« Die unerquickliche Bekanntschaft mit jenem Hauswart, die der Mann am Telefon detailreich und glaubhaft beschreibt, habe schließlich ein Ende gefunden. Nur sei die Freude darüber durch den Umstand getrübt, dass das Haus nun einer Bande von Wiener Zuhältern gehört, die an der Börse notiert sind. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Telefonat endet an dieser Stelle. Der spukende Hausverwalter soll für weitere Zwecke einen besonderen Namen erhalten: Dirty Harry.
Betrifft: das Gespenst vom Tempelhofer Ufer
Liebe Minna Mohn,
ich kann dir erzählen, dass ich das Gespenst vom Tempelhofer Ufer gefunden habe. Es geisterte wirklich jahrelang herum – mit Unterbrechungen – und hieß Dirty Harry. Der Mann war Hauswart und Psychopath und ist bei den Mietern eingebrochen. Er hatte wohl Schlüssel einbehalten. Nach jahrelangem Umtrieb hat man ihn gefasst und er ist seinen Job und seine Wohnung los. Aber manchmal geistert er heute noch übers Gelände. Wusstest du das?
Ich finde aber nichtsdestotrotz, dass es ein seltsames Haus ist und dass das traurige Schicksal der jungen Zwangsarbeiter von Telefunken dort eine greifbare atmosphärische Spur hinterlassen hat.
Re: das Gespenst vom Tempelhofer Ufer
Liebe Sarah Khan,
das mit Herrn Dirty Harry ist ja amüsant. Ich kenne ihn sehr, sehr gut, und dass er unkoschere Dinge treibt, war hinlänglich bekannt. Auch unsere Mietergemeinschaft versuchte ihn kündigen zu lassen. Er hat allerdings mit den »Erscheinungen«, die meine Mitarbeiter und Kollegen dort wahrgenommen haben, wenig zu tun. Er war höchstens ein realer Auswuchs des Ganzen im Hier und Jetzt.
Dass der Mann noch mal zur Buchfigur aufsteigt, wird ihn freuen, das war, glaube ich, bei allem sein größtes Anliegen. Er wollte beachtet werden. Und krank war er auch, und intelligent. Aber auch sympathisch, wenn man über die Zähne und den Gestank hinweggesehen hat. Aber total verschlagen. Eine Figur eben. Zu viel zum Schreiben. Wir sollten uns treffen, dann erzähle ich dir mehr.
Nach fast zwei Jahren kommt das Wiedersehen mit Minna Mohn und einiges hat sich verändert. Die Stimmung in ihrer Branche hat nachgelassen. Die Wirtschaft hat die Krätze, Werbung schrumpft und Minna Mohn hat plötzlich Zeit für einen langen Abend mit Pasta, Wein und vielen Gespenster-Geschichten in ihrer Küche. Sie hat Lust, von der guten alten Zeit zu reden. Kaum vergangen, gehören die schnellen Jahre der wirtschaftlichen Blüte schon einer
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