Die Gespenster von Berlin
anderen Epoche an. Dirty Harry besetzt dabei die Rolle des Pistolero, romantisch fast. Wenn Minna ihn beschreibt, dann ganz anders als der Mann am Telefon, eher so: Ein Denunziant, ein Katzenliebhaber, ein Wasserbettbesitzer, ein Fernsehsüchtiger. Aber Gespenst? Nein – wirklich nicht. Da muss man unterscheiden, sagt sie. Denn beim Gespenst vom Tempelhofer Ufer handelt es sich um eine Frau. Und es war so:
Meister Yap Cheng Hai, der altehrwürdige Feng-Shui-Meister aus Malaysia, hatte sie ja schon einige Jahre vor seiner Beratung in der Chausseestraße bereits im Tempelhofer Ufer besucht. Hier ging er auf eine lange, ihn auch stark beanspruchende Trancereise, die über eine Stunde dauerte. Minna Mohn erinnert sich, wie schwer es ihr fiel, geduldig auf das Ergebnis zu warten, wie sie schließlich dabei einschlief. Viele hundert Seelen habe Meister Yap Cheng Hai im Tempelhofer Ufer angetroffen, Unglückliche, Verzweifelte, Verunfallte. Nicht nur Menschen aus der Zeit des Krieges und der Zwangsarbeit, auch aus vorherigen Zeiten. Ein Junge sei im Hof ertrunken, und ein alter Mann habe es mit angesehen und konnte ihm nicht helfen. Yap Cheng Hai riet Minna Mohn, im Hof einen Springbrunnen aufzustellen. Sie tat es und die Nachbarn meinten, der habe alles zum Schönen verändert. Sie nahmden Springbrunnen beim Umzug mit, leider hat niemand einen neuen dort aufgestellt.
Es gab noch einen weiteren Rat von Yap Cheng Hai: »Du musst den Hintereingang benutzen.« Er kannte den Hintereingang nicht, er wusste nicht, wie umständlich es war, diesen dunklen Ort zu erreichen. Aber Minna hielt sich an das Gebot des Meisters und kletterte täglich über Schutthaufen und zwängte sich durch Gebüsche, um zu diesem Hintereingang zu gelangen. Sie war die einzige aus dem Haus, die ihn benutzte, und natürlich zog sie den Spott der Mitmieter auf sich. Das Komische aber war, dass genau dort, am dunklen Treppenaufgang des Hintereingangs, immer eine Frau stand und rauchte. Sie war blond und trug zeitgemäße Kleidung. Sie antwortete nie, wenn man sie ansprach, schaute nur und rauchte. Und merkwürdigerweise fand Minna Mohn niemals Asche oder Kippen. Als wäre sie doch nie dort gewesen, wo sie ständig rauchend stand.
Eines Morgens erschien Minna Mohn verspätet, die Räume waren noch verschlossen und eine Gruppe von Handwerkern sowie die Putzfrau warteten im Hof auf sie. Sie merkte gleich, dass die Leute verstört waren. Was habt ihr denn?, fragte sie. Da war eine Frau am Fenster, sagten sie. Die Frau ging durch die Agentur, stellte sich ans Fenster und schaute raus.
Kann gar nicht sein, sagte Minna Mohn, die Agentur ist doch geschlossen, die Alarmanlage wäre losgegangen.
Sie beharrten darauf, sie hätten eine Frau gesehen, die durch die Agentur ging, ein Fenster öffnete und hinausschaute, durch die Leute durch.
Die Putzfrau beschrieb die Frau, und Minna glaubt, dasses jene Raucherin aus dem hinteren Treppenhaus war, die komische Frau, die keine Spuren hinterließ, die Frau, die niemand sonst jemals sah. Als Minna mit den Handwerkern die Agentur betrat, stellten sie fest, dass die Alarmanlage einwandfrei funktionierte, und konnten sich keinen Reim auf die Sache machen. Die Putzfrau aber war eine echte Schwarzwaldhexe, die sich mit allerlei Gegenzauber auskannte und nun ordentlich Gebrauch davon machte. Sie kam jeden zweiten Tag und machte es sich zur Gewohnheit, Kräuter in den Agenturräumen zu verbrennen. Aber Minna Mohn wollte es genau wissen. Dirty Harry gab ihr den Rat, im Liegenschaftsamt nach Dokumenten über das Haus und die ehemaligen Bewohner zu fragen. So fand Minna heraus, dass der Kunstschmied Eduard Puls bis 1910 im Haus und in der Remise im Hof seine Kunstschmiedewerkstatt hatte.
Eduard Puls war ein in Berlin und weit darüber hinaus berühmter und viel beschäftigter Kunsthandwerker, der elegante Treppen und Brüstungen für Wohnhäuser, Ministerien und Villen schuf, sogar für das kaiserliche Palais. Er verzierte Brücken, Mausoleen, Grabmäler und konstruierte ornamentale Tore und Balustraden. Er war derjenige, der die Formen der deutschen Renaissance für den kunsthandwerklichen Metallbau entdeckte und popularisierte. 1877 veröffentlichte er eine große »Mustersammlung moderner schmiedeeiserner Ornamente« und legte damit und mit seinen innovativen Fertigungstechniken für Jahrzehnte den Grundstein seiner Zunft. 1885 arbeiteten 150 Kunstschlosser an 40 Schmiedefeuern in der Puls’schen Werkstatt. 150
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