Die Gespenster von Berlin
zu stehen. Dann zog Sandra ein, es war Frühjahr 2001, sie war knapp dreißig Jahre alt, das erste Mal fort von zuhause, Träume im Gepäck, das Übliche. So richtig passte sie nicht in die WG, das Künstlerische war ihr zu anstrengend. Nach einer Woche sagte sie: »Sorry, Leute, aber hier spukt es doch.« Dann erst erzählte man ihr von der Alten, einer Putzfanatikerin, kinderlos und etwas wirr. Putzen, Mädels, dann kriegt ihr auch einen Ehemann. Und dass sie genau dort starb, wo Sandra ihr Bett aufstellte. Das passte, alles passte plötzlich. »Als ich anfing mein Zimmer das erste Mal zu putzen, fühlte ich eine Energie, die mich packte und mir einen ordentlichen Schubs gab! Eine unglaubliche Freude! Da war was und beobachtete mich mit meinen Gefühlen.«
Und irgendwie war ihr auch, als würde sich der Fernseher am liebsten auf die dritten Programme umschalten, auf Seniorensendungen, Blaskonzerte, Gartenschauen. Sandra zog nach wenigen Monaten wieder aus, sie kam mit dem Kohleofen nicht zurecht und fror. Sie fand einen Mann, eines Nachts im Bergstüb’l stand er da, und bekam zwei Kinder von ihm. Und doch: »Ich wollte mich nicht von dem putzfanatischen Geist einer kinderlosen, einsamen Frau anknabbern lassen«, erinnert sie sich heute. »Aber mit dem Slogan ›Putzen, Mädels, dann kriegt ihr auch einen Ehemann‹ hatte sie recht. Mein Mann war damals noch verheiratet, als ich ihn traf, wenn auch schon in Trennung.«
Ist das die Botschaft, die dieser Geist für uns bereithält – Putzen, Mädels? Nachfragen im Haus ergeben, dass die WG sich gerade auflöst. Die derzeitige Bewohnerin des Zimmers hat nichts von einem Geist bemerkt, kann aber erzählen, dass sich die Nachbarn von unten regelmäßig beschweren, dass aus ihrem Zimmer nachts Geräusche kämen, als würde sie Möbel rücken. »Aber ich rücke nachts keine Möbel!« Soso . Und was sagt der Nachbar von nebenan? Es ist kein Geringerer als der bekannte Stadtsoziologe und Architekturkritiker Dr. Hoffmann-Axthelm. Er plädierte öffentlich für eine dichtere Bebauung von Berlin-Mitte mit Wohnhäusern. Besonders der Mauerstreifen an der Bernauer Straße, so schrieb Hofmann-Axthelm in einem Zeitungsartikel, sei mittlerweile zu einem »riesigen Hundeauslaufgebiet« verkommen. Die Musealisierung der innerdeutschen Grenze blockiere die Entstehung einer lebendigen Stadtlandschaft zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt. Zur Geistersache im eigenen Wohnhaus befragt, sagt Hofmann-Axthelm, dass seine Frau auch den Eindruck habe, dass es im Haus spukt. »Das sind die bösen Geister derjenigen, die früher hier lebten und jetzt meine Frau am Schlaf hindern.«
»Schläft Ihre Frau denn in den Spukzimmern?«
»Ja, natürlich.«
Der Eigentümer der Spukwohnung erinnert sich nicht mehr an den Namen der Alten. Er will die Wohnung, nachdem endlich der letzte WG-Bewohner rausgeklagt und ausgezogen ist, sanieren und umbauen. Er bietet die Wohnung gleich am Telefon zur Miete an, aber nur als Zwischennutzung, und nur für zwei Jahre. »Die Miete würde natürlich steigen, aber nicht exorbitant.«
Dann findet sich endlich eine Nachbarin, die die Alte noch persönlich kannte. Sie beschreibt sie als einen »sehr unglücklichen Menschen«. Sie hätte mal ein Pflegekind gehabt, das nahm man ihr weg, und das hätte sie seelisch nie verwunden. Ihr Mann war ein Säufer, den schmiss sie schon früh raus. Und am Ende ihres Lebens sei sie Erbschleichern in die Hände gefallen, die hätten auf all das Geld spekuliert, das sich eine 95-jährige Rentnerin in Jahrzehnten vom Mund absparen kann. Überall hätte sie ihr Geld versteckt, aus Angst vor der Stasi, für die einige ehemalige Hausbewohner damals gearbeitet hatten. Von daher kam ihre Stasi-Paranoia, durchaus begründet.
Unter dem Linoleum, erzählt die Nachbarin weiter, in den Möbeln, hinter der Tapete hatte sie Geld versteckt und es dann vergessen. Man musste ihr oft helfen, das Geld zu finden, es war schon spaßig, aber sie hörte nicht damit auf, das Geld in die kleinen Ritzen zu stecken, wo kaum ein Finger hinkam.
Eh bien! Verstecktes Geld, Möbelrücken, Putzen, Mädels. Langsam wird ein Muster erkennbar. Die Nachbarin kennt den vollständigen Namen der Alten und weiß, wo sie begraben ist. Sie liegt auf dem Sophien-Friedhof der Evangelischen Gemeinde. Er befindet sich zwischen der Acker- und der Bergstraße, geht bis zum Mauerstreifen an der Bernauer Straße. Sie hieß Emilie.
Im Verwaltungsbüro des Friedhofs wird
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