Die Gespenster von Berlin
Reise«. Die Männer beschlossen, den unbeweglichen Kranken gemeinsam hinüberzutragen, »aber um Gottes Willen nicht den Hochparterre-Korridor entlang, weil da die Wohnzimmer der Oberin lagen«. Sie wählten also den heimlichen Weg durch den Keller. »Wir packten ihn also so gut es ging, ich an den beiden Beinen und so setzten wir uns in Bewegung, erst über ein Stück Hof hin, und dann in die Kellerräume hinein. Alles dunkelte hier, bloß am andern Ende flimmerte was. ›Nur zu‹, rief ich, weil das Schweigen unheimlich war. Aber schon im nächsten Augenblick stoppten wir wieder und der Inspektor beugte sein Ohr und horchte. Gott sei Dank, es war nichts, eine Sinnestäuschung und so setzte sich unser Kondukt wieder in Bewegung. Immer grad aus auf das Licht zu.« Der Kranke landete schließlich im Bett, die Männer schlichen zurück. »Den andern Tag, als wir uns wie gewöhnlich bei Tische trafen, herrschte zunächst ein ängstlich bedrücktes Schweigen, keiner wollte mit der Sprache heraus. Zuletzt aber nahm ich des Inspektors Hand und sagte: ›Sagen Sie, Inspektor, warum horchten Sie denn so auf?‹
›Ja, es war mir so ...‹
›Was denn?‹
›... Ja, sie kann nachts oft nicht recht schlafen. Und dann geht sie um, erst die Korridore lang und dann unten im Souterrain. Und ich dachte ...‹«
Mit diesen Worten und den drei Pünktchen brechen Fontanes Erinnerungen an Bethanien ab – kein einziges Wort mehr schrieb er zu dem Thema. Drei Pünktchen, die alles oder nichts bedeuten, die vage sind und unbefriedigend. Darum sprechen wir heute aus, was Fontane wohl zu heikel war: Die Männer, die den besoffenen Krankendurch den Keller trugen, hatten den Eindruck, dass sie einem Gespenst begegnet waren. Am nächsten Tag beim Essen einigten sie sich darauf, dass es wohl die Oberin war – Gräfin Rantzau –, die oft nicht schlafen konnte und deren Schritte sie vernommen haben mussten. Obwohl Bethanien nicht wie ein Mietshaus gebaut ist, der Keller weit unter dem Fußboden des Hochparterres verläuft und solche Übertragungen von Geräuschen kaum möglich erscheinen. Drei Pünktchen nur. Fontane war ein sehr bewusster Autor, er pflegte zwar Manierismen, doch kalkuliert. Wenn er sich entschloss, in seinen Memoiren das Lebenskapitel Bethanien mit diesem angedeuteten Gespenst zu beschließen, dann war das keine spontane Lust, kein lapidarer Witz und kein Versuch, sondern eine Aussage über den Charakter von Bethanien. Ohne diese Episode über das unerquickliche Ende einer Geburtstagsfeier überstrapazieren zu wollen, kann man eines festhalten: Bethanien zeigte, als es 1849 Neubau war und keine zwei Jahre alt, schon alle Qualitäten eines Spukschlosses. Dies entging auch dem großen Theodor Fontane nicht.
Als Kronzeuge der Anklage soll Fontane aber nicht herhalten. Dafür ist die angeführte Textstelle übersinnlich gesehen etwas zu verhalten. Es gibt noch eine andere Autorität aus dem bürgerlichen Berliner Leben des 19. Jahrhunderts, die weiterhilft. Es ist der Bischof (Generalsuperintendent) von Berlin und Brandenburg, Daniel Amadeus Neander, der Bethanien 1847 einweihte. Als ein junger Pastor veröffentlichte er im Jahr 1805 ein Buch über Geister, Geisterglaube und die Möglichkeit, Gespräche mit Personen aus dem Jenseits zu führen, das folgenden Titel trug: »Die erste merkwürdige Geistererscheinung des neunzehnten Jahrhunderts«. Diese Schrift, die sich in einem Exemplar in der Berliner Staatsbibliothek findet, war seinerzeit eingebettet in eine größere Debatte. Ausgelöst wurde sie durch den ausführlichen Erlebnisbericht eines vormals kaum beachteten Weimarer Philosophen namens Johann Karl Wötzel, der behauptete, dass ihm seine verstorbene Gattin Hannchen erschienen sei, und daraus folge, dass die Persönlichkeit des Menschen nach seinem Tode in einem »Äther-Leib« ewig fortlebt – et cetera et cetera. Dies war Anlass genug, mitteldeutsche protestantische Intellektuelle zu erregen. Hier konnte wunderbar und öffentlichkeitswirksam ausgelotet werden, dass sich die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele im neuen rationalen Denken kaum aufgelöst hatte. Der spätere Bischof Neander vertrat eine beispielhafte Position: Er glaubte an eine Geisterwelt und er glaubte an das Jenseits. Er dachte, das Jenseits sei auf einem fernen Stern im Universum beheimatet. Er glaubte sogar, dass Diesseits und Jenseits sich ähnlich seien. Er glaubte aber nicht an die Möglichkeit, mit den Geistern Kontakt
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