Die Gespenster von Berlin
wenn es irgendwo spukt in der Welt, dann in der mittelalterlichen Sagenburg von Friedrich Wilhelm IV., der so gerne Drachenkämpfer gewesen wäre. Hier gibt es Gespenster, im alten Sinn, nicht nur Gespenstlarven. Traurige, verdammte Wesen, die sich den ausländischen Künstlern offenbaren, nicht verstanden werden und mit ihnen ihren verquälten Schabernack treiben. Sie schälen sich und fressen ihre Häute.
Wenn die Künstler aus Bethanien verschwinden, bleiben die Gespenster, und es wird neue Geschichten geben, mit neuen Bewohnern, eines Tages. Mit dieser unverrückbaren Erkenntnis schließt der Bericht einer Gespensterjagd in Bethanien im Herbst 2008. Nicht ein Wort ist ausgedacht, Mareike Dittmer kann es bezeugen. Deshalb hat sie hier das letzte Wort.
Betreff: Re: Gespenstschrecken, Gespenstlarven
»huh, gespenstschrecken. ich denke, das war das zeichen, das wir an dem abend nicht wirklich wahrnehmen konnten. vielleicht hätten wir unsere befragung in ihremstudio machen sollen. dort scheint der spirit zu sein, wie sonst käme wohl eine nicht gerade insektenversessene junge kanadierin auf die idee, sich 5 gespenstschrecken als freunde zuzulegen. soweit ich mich erinnere, hat sie gesagt, dass das ganze auch eine übung wäre, um ihre sympathien auf etwas auszudehnen, was ihr eigentlich nicht sonderlich sympathisch war, sogar eher abstoßend erschien. praktisch ein training in erweiterter sympathie, einer überwindung der eigenen vorurteile, wie sie das, glaube ich, wortwörtlich nannte.
genau diese selbstgewählte kasteiung war irgendwie unheimlich. sich zu zwingen, freundschaft für etwas zu entwickeln, für das man eigentlich keine freundschaftlichen gefühle hegt, und dann analytisch die entwicklung dieser beziehung zu beobachten, mit dem genauen wissen, dass diese terminiert ist durch den tod.
und trotzdem dieses etwas kindliche vergnügen, selbst den käfig noch hübsch mit mustern anzumalen. und der irritierende moment, wenn sie sie als »ihre freunde« bezeichnete. in dieser mischung war es durchaus etwas unheimlich. macht das sinn?
ist wie bei poe: man muss nur richtig hinschauen, um das offensichtliche zu sehen, wenn man nach geheimnissen sucht.«
Quellen: Theodor Fontane. Von Zwanzig bis Dreißig.
Dieter Hoffmann-Axthelm: Bethanien – eine historische Anmerkung zum Verhältnis von Architektur und Ideologie. In: S. Günther und D. Worbs (Hg.): Architektur-Experimente in Berlin und anderswo, 1989. S. 138-153.
Die Windmühle
Die Windmühle ist ein Haus, das aussieht wie ein weißes Raumschiff, es steht in der Mitte der Stadt, hat vierundzwanzig Stockwerke, zweihundertvierzig Kabinen und etwa fünfhundert Mann Besatzung an Bord. Vulkanier sind nicht dabei, die bei Menschen wegen ihrer Gefühllosigkeit so beliebten Wesen. Dafür viele Ostdeutsche, aber der Ostdeutsche ist ja normalerweise bescheiden. Die Windmühle landete vor vierzig Jahren nah am Alexanderplatz, nachdem vorher auf Erden und im Weltraum viel geschah: Ein mächtiger Tierknochen wurde von Urmenschen, die um eine Wasserstelle stritten, zur Hand genommen und ein Durstiger musste sterben. Erregt schleuderten die Sieger den blutigen Knochen ins All, wo er zu tanzen begann und sich in ein Raumschiff verwandelte, das, als es auf der Erde landete, wie ein weißes Vorzeige-Hochhaus der DDR aussah. Das Hochhaus besitzt seither seltsame Eigenschaften. Zum Beispiel hat es ein Tarnschild, das bewirkt, dass man es kaum sieht. Nur Leute, die ihre Energie oder ihr Geld in das Raumschiff einspeisen, sind in der Lage, das Tarnschild zu durchbrechen, es manchmal sogar als etwas vollständig Abgehobenes, Nicht-Planetares wahrzunehmen. Eine ganz bestimmte Sorte Erdenbürger fühlt sich allerdings so merkwürdig angezogen von dem Ding, dass sie es seit Bestehen, also seit vierzig Jahren, gezielt ansteuern und hier ihr Leben opfern für eine Flugübung zwischen Außenhaut und Parkplatz. Wenn pro Jahr drei springen, dann sind in den vergangenen vierzig Jahren einhundertzwanzig Leute hier hinabgestürzt. Diese Windmühle ist gefährlich. Die Balkone werden von den Bewohnern deshalb auch Flugbalkone genannt, sie können betreten werden, da sie zum Notausgangsystem gehören, zum Fluchtweg ins Treppenhaus. So kommt es, dass jeder Berliner Taxifahrer das gefährliche Haus kennt und respektvoll »die Windmühle« nennt. Es klingt romantisch, so ländlich, aber nein: Die Windmühle mahlt die Seelen der todessüchtigen Vollidioten.
»Lieber Herr Taxifahrer, ich
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