Die Gespenster von Berlin
aufnehmen zu können, geschweige, dass Tote sich in der Nähe ihrer Angehörigen aufhalten. Neander war ein Theologe, der ein magisch durchdrungenes Weltbild hatte, das nicht im Widerspruch zur reformierten Kirchenlehre seiner Zeit stand. Dieser Mann also »weihte« Bethanien. Wobei eine Weihe im protestantischen Sinn viel weniger weihevoll war als die der katholischen Kirche, bei Neanders Weihe handelte es sich vermutlich um einen feierlichen Gottesdienst, mit einer Predigt zum besonderen Anlass.
Was aber bedeutet dies für die Frage, ob oder wie in Bethanien Gespenster zu ermitteln sind? Neander reiht sich einin eine Indizienkette, die eigentlich nur eines sagen will: dass mit Bethanien ganz und gar etwas nicht stimmt. Dass in der Matrix dieses Bauwerks ein Wachtraum steckt, der dafür sorgt, dass die Gespenster von Berlin die eigentlichen Bewohner sind, und immer schon waren. Die Indizienkette hat noch einige Perlen mehr: Der junge Architekt Ludwig Persius starb über den Entwürfen an Typhus. Friedrich Wilhelm IV., bekannt für »blitzschlagartige königliche Eingriffe« (Hoffmann-Axthelm) in die Prestigebauprojekte seiner Regentschaft, bestimmte die weiteren Ausführungen en detail. Er war das Königskind mit dem Lineal, ein Visionär und Kunstfreund. Aber auch ein Dilettant, bei dem Form und Zweck weit auseinanderklafften. Im Falle eines Krankenhauses war dies tragisch, denn es führte dazu, dass Bethanien auf Jahrzehnte, bis ins nächste Jahrhundert hinein, ständig nachgebessert, umgebaut und angebaut werden musste. Das Krankenhaus kam durch seine disfunktionale Anlage nicht zur Ruhe und erwarb sich, wie erwähnt, sofort den schlechtesten Ruf in der Bevölkerung und bei den Experten. Berliner Ärzte überwiesen ungern nach Bethanien. Die Tiefe der Säle, die isolierte, unbelüftete Lage der Klosetts und Küchen, die Verbringung der Kotbottiche und Leichen im Keller gleich neben der Waschküche, die mühsame Wasserversorgung ohne Leitungen und Anschlüsse führten zu gesundheitsbedrohlichen Zuständen. Derart begünstigte Wundinfektionen mussten sich tödlich auswirken. Immerhin war es dem König wichtig, dass jedes Krankenzimmer Sonnenlicht bekam. Aber das sind Nebensachen, die den Blick auf die Ursprungsphantasie, aus der heraus Bethanien entstand, versperren.
Friedrich Wilhelm IV. hatte keine Kinder, der recht glücklich verheiratete König soll, so auch die Diagnose des Mediziners Hufeland, impotent gewesen sein. Selbst der Dichter Heinrich Heine spottete darüber in seinem Gedicht »Der Kaiser von China«. Mit »China« ist Preußen gemeint, und mit dem »Kaiser von China« Friedrich Wilhelm IV.
Mein Vater war ein trockner Taps,
Ein nüchterner Duckmäuser,
Ich aber trinke meinen Schnaps
Und bin ein großer Kaiser.
Das ist ein Zaubertrank! Ich hab’s
Entdeckt in meinem Gemüthe:
Sobald ich getrunken meinen Schnaps
Steht China ganz in Blüthe.
Das Reich der Mitte verwandelt sich dann
In einen Blumenanger,
Ich selber werde fast ein Mann
Und meine Frau wird schwanger ...
Auszug aus: Der Kaiser von China (ca. 1844)
»Ich selber werde fast ein Mann und meine Frau wird schwanger« – ein wenig einfach stellte sich der große Spötter Heine die seelischen Nöte und Wünsche des Königs vor. Bethanien demonstriert viel anschaulicher, wie der König das Private und das Allgemeine miteinander verquickte und zum irrsten Ausdruck brachte. Der König strebte eine ganz unmittelbare, sinnliche Erkennbarkeit und Erzählkraft seiner Gebäude an, und mit dem Bethanien konnte er dies am besten durchsetzen. Der beauftragte Architekt Persius lag plötzlich im Sterben und wurde post mortem auf drei Jahre rückwirkend zum Baurat erklärt. Der König und sein Lineal hatten plötzlich freies Spiel, niemand würde es wagen, seine Ideen in die sonst so übermächtige Sprache des Schinkel-Systems zu übersetzen. Niemand würde die konkrete Narration, die er für Bethanien vorsah, zum Ornament schwinden lassen: die Geschichte vom heiligen St. Georg, der den Drachen tötet und die Jungfrau davor rettet, gefressen zu werden.
Diese Sage, mit der der König schon als Jugendlicher im Georgskloster aufwuchs, bot sich dem Impotenten zur lebenslangen unbewussten Identifikation an. Hier konnte sich der Widerspruch zwischen persönlicher Ohnmacht und beruflicher Allmacht hinter männlichem Heldentum verstecken. Der Ritter nimmt den Weg der Drachentötung, um seine Kraft zu demonstrieren. Als der Drache aus seiner Höhle
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