Die Gespenster von Berlin
eine kleine Ladung Hass: Fuck off for all DDR. Ab dem 12. Stock gibt es keine Kritzelnachrichten mehr, auch keine Wackelbeine und keine Gänsehaut. Im achten Stock wartet eine Bekannte, die hier wohnt, und sie ist so nett, sich von der Geisterjägerin behelligen zu lassen. Sie heißt Patricia und ist Kunsthistorikerin, hat schon im Vatikan gearbeitetund leitet in Berlin ein namhaftes Institut für zeitgenössische Kunst. Außerdem serviert sie einen sehr guten brasilianischen Kaffee und raucht am liebsten Selbstgedrehte. Sie wohnt gerne in diesem Haus, sagt sie, und wenn man ihre Wohnung sieht, weiß man, dass das stimmt. Sie hat drei Zimmer nur für sich und eine Küche mit Balkon. Hier oben ist immer Licht. Alle Nachbarn haben Hunde, sagt sie, aber gruselig, nein. Das mit den Selbstmördern ist ihr auch schon aufgefallen, die Flecken auf dem Parkplatz, wer macht sie eigentlich weg, wer ist dafür zuständig? Wir reden über den Wind. Sie demonstriert, was passiert, wenn man die Wohnungstür öffnet: Pfeifkonzert. Der Luftschacht in der Decke des Flures und die geöffnete Wohnungstür korrespondieren heftig: chuuuh-chuuh-chuuh, aber gründlich. Sie zeigt den Müllraum, man braucht einen Schlüssel, wie es sich gehört. Bei geöffneter Klappe entfaltet der Müllschacht einen gewissen Duft. Also wenn es Wesen gibt, dann leben sie hier, sagt sie.
Ja, aber so ist es überall, typisch Hochhaus.
Zurück in der Wohnung, reden wir über den Piranesi-Druck, den sie sich in Italien gekauft hat, der so merkwürdig unharmonisch ist, dass er keine Fälschung sein kann, denn ein Fälscher, erklärt sie mir, würde eine so untypische Arbeit kaum loswerden. Dann sagt sie, es sei schwierig, gute Mitarbeiter zu finden, Kunsthistoriker, die sich wirklich für neue Kunst interessieren. Über ihre Einrichtung sprechen wir auch. Da fällt ihr eine Sache ein. Sie führt mich in ihr Gästezimmer, wo Ballkleider hängen und goldene und silberne Pumps auf die Nacht warten. Sie zeigt auf ein schmales, etwas altmodisches, kurzes weißes Bett an der Wand und auf einen Schminktisch mit einem großen, ovalen Spiegelaufsatz, der gegenüber steht. DieMöbel bilden ein Paar, haben die gleiche bleiche Eierschalenfarbe und stammen vermutlich aus den 1960er Jahren. Der Spiegel hängt mittig in einer Achse und ist drehbar. Auf der Konsole Haarbürsten, Schmuck, Uhren, Parfümflaschen und Familienfotos. Das Zimmer zeugt von der Eleganz einer guten Fee.
»Diese beiden Möbel«, sagt sie, »habe ich auf der Torstraße bei einem Trödler gekauft. Als der Mann sie brachte, war er total verwirrt. Er sagte mir, er hätte diese Möbel hier in dieser Wohnung abgeholt, und sie hätten damals schon so da gestanden, genau so. Er könne sich genau erinnern, damals stand eine sehr große Frau aus Sachsen in der Wohnung, die den Hausstand ihrer verstorbenen Tante verkaufte, sagte er. Die habe ganz stark gesächselt, er konnte sie kaum verstehen. Das andere Zeug, das er damals mitnahm, sei er schnell losgeworden, nur für dieses Bett und den Schminktisch fanden sich nie Interessenten. Bis ich kam.«
»Vielleicht hat er dich verschaukeln wollen?«
»Nein, der war total perplex.«
»Die Möbel wollten also zurück in diese Wohnung, in dieses Haus?«
»Scheint so.«
Wir setzten uns auf das Bett und betrachteten uns im Spiegel. Sie mit ihren langen blonden Haaren, rot geschminkten Lippen, Tabak im Mundwinkel, ich dunkelbraun und mit silbernem Lidschatten.
»Magst du diese Möbel?«
»Das Bett ist zu kurz. Keine Ahnung, was mich da geritten hat.«
Sie schwenkt den Spiegel, er wirbelt mehrmals um seine Achse, macht Sonnenblitze. Und so kommt es, dass einekleine alte Frau zwischen den Drehungen und Abbildern erscheint, die winkt uns.
Als ich aus dem Haus trete, kommt mir ein Paar entgegen, sie trägt Anmut, er die Einkaufstüten. Es sind Bryan Senti, der amerikanische Komponist und Arrangeur von Rufus Wainwright, und eine junge Frau. Ich muss mich schnell entscheiden – ansprechen oder nicht. Ja oder nein. Um das Schicksal und den Zufall nicht zu verprellen, die mir diese weitere Begegnung beschert haben, spreche ich ihn an. Er wartet mit seiner Begleitung vor dem Fahrstuhl, beide sehen etwas verpennt aus. Ich flehe, dass es sich bei den beiden nicht um ein Liebespaar vor dem Frühstück handelt. Senti blinzelt verwirrt, er erinnert sich nicht an unsere Begegnung im Restaurant Lebensmittel. Ich muss eine Weile Namedropping betreiben (Rufus, Francesca, Jörg, Udo,
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