Die Gespenster von Berlin
möchte bitte zu folgender Adresse ...«
»Ach zur Windmühle wollense? Wollense etwa runterhopsen?«
»Na hören Sie mal! Wer soll denn den ganzen Dreck wegmachen? So eine Sauerei. Nee, nee, wenn ich mal gehe, dann sauber, ohne den Leuten das Blut und die Gedärmpampe zu hinterlassen.«
»Na det lob ick mir. Aber so denkt ja nich jeda. Springen doch ständig welche von der Windmühle. Erst letztens wieda.«
Der Wind, das himmlische Kind, pfeift seine Sphärenmusik heftig und schrill, als wäre er voller Nachrichten. Die Ost-Architekten haben nicht auf die Windachsen geachtet, schimpfte ein Passant, dem die Kappe fortfliegt, kaum dass er vor dem Haupteingang in Richtung S-Bahnhof einbiegt, ich aus dem Taxi steige und der Hut auf der Radioantenne landet, aber keiner lacht über den gespielten Witz. Ab jetzt wird es ernst, jetzt muss es raus, das Geheimnis der Windmühle, auch wenn die Adresse nicht verraten wird, damit bloß keiner auf falsche Gedanken kommt und einen letzten Brief schreibt. Gibt es hier Gespenster? Ein berühmter Sänger hält es für möglich. Ich lernte RufusWainwright am 14. März 2009 kurz vor Mitternacht bei der Doppelgeburtstagsfeier der Künstlerin Janet Cardiff und des Direktors der Nationalgalerie Udo Kittelmann im Restaurant Lebensmittel kennen. Rufus Wainwright trug ein Jankerl und ein mit Edelweiß besticktes Leinenhemd, er sah aus wie ein Bergbub und saß etwas blass zwischen seinem Arrangeur Bryan Senti und der unaufhaltsam auf ihn einredenden Kunstsammlerin und Mäzenin Francesca von Habsburg, geborene Thyssen-Bornemisza, über die schon folgende Selbstaussage zu lesen war: »Das Gespräch mit Künstlern ist für mich das Wichtigste.« Wieso aber konnte Frau von Habsburg ungestraft auf Rufus Wainwright einlabern? Immerhin hatte er den Ruf einer opernhaften Diva zu verteidigen und außerdem schien er todmüde zu sein. Völlig willenlos und monoton antwortete er mit »Right, right – Right, right«, während sie ausschließlich von sich selbst sprach, ohne einmal Luft zu holen. Erst später stellte sich heraus: Wainwright war das Geburtstagsgeschenk der Fürstin an die beiden Geburtstagskinder, die ihren 51. und 52. Geburtstag feierten.
Jörg und ich kamen erst kurz vor Mitternacht dazu. Unsere Einladung galt nicht so sehr für das Dinner von etwa dreißig Gästen, überwiegend Künstler wie Thomas Demand, Tacita Dean, Norbert Schwondkowski, Monica Bonvicini, Tino Seghal und der Galerist Rolf Ricke – unsere Einladung galt eher für den Moment des Anstoßens. Als Geschenk hatten wir Comics mitgebracht, für Kittelmann war der softpornoistische, spanische Comicband »Betty« bestimmt, den er glücklich abknutschte. Kittelmann, der gelernte Optiker und große Visionär unter den deutschen Museumsdirektoren, gab gleich zum Besten, dass er schoneine Ausstellung über die Bondage-Darstellerin Bettie Page gemacht hat, als die in Deutschland noch niemand kannte. Kittelmann erzählte, dass er, immerhin verantwortlich für sechs Berliner Museen, endlich eine eigene Sekretärin einstellen durfte. Bislang musste er jede E-Mail selber schreiben. Als er das erzählte, tippte er mit den Zeigefingern in die Luft.
Ich setzte mich an das Ende des Tisches, neben den mir unbekannten Bryan Senti, der ähnlich gelangweilt wirkte wie Wainwright und mich freundlich anlächelte. Senti und auch Wainwright schienen mehr als dankbar, sich von der übersteuerten Francesca von Habsburg abwenden zu können. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich erzählte eigentlich sofort, dass ich an einem Buch über Berliner Gespenster schreibe. Die Reaktion der Musiker hätte zustimmender nicht ausfallen können. Wainwright und Senti berichteten also von dem horriblen Hochhaus, in dem sie ihr Quartier hatten. Das Berliner Ensemble hätte zwei Hotel-Apartments für sie angemietet, die es neben den Miet- und Eigentumswohnungen dort auch gab. Sie empfahlen mir, das Hochhaus einmal zu besichtigen und dort all dem Seltsamen nachzugehen, welches näher zu schildern sie kaum vermochten. Der Müllschacht und die Flure, alles sei komisch. Wainwright zeigte sich als besonders geisterfühlig, so habe er einmal ein Apartment in New York nicht gekauft, weil ihn das Gefühl nicht losließ, dass dort jemand gestorben war, was der Makler bestritt. Doch weil er das Gefühl nicht losgeworden sei, habe er auf den Deal verzichtet. Schließlich gab der Makler zu, gelogen zu haben. Es sei tatsächlich so gewesen, in der Wohnung lag eine
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