Die Gespenster von Berlin
Boden des märkischen Oderbruchs seine Früchte abzutrotzen sind, beschäftigt die Menschen hier schon seit vielen hundert Jahren.
Johanna jedenfalls begann, nachdem die Telefonwahrsagerin mitten in ihrem Wohnzimmer die entscheidende Frage gestellt hatte – »Mein Gott, wo wohnst du?« –, über die Gründe für ihr Unbehagen nachzudenken. Die erste Überlegung galt dem Tümpel, der hinter der Häuserzeile lag. Sie dachte an eine Wasserader, vielleicht zog eine Wasserader durch ihr Grundstück, die an allem schuld war. Johanna hatte nur ein Problem: »Ich bin überhaupt nicht esoterisch veranlagt.« Sie konnte nicht daran glauben. Sie befragte die Leute, versuchte zumindest, ihnen Geschichten von früher zu entlocken.
»Die Müncheberger sind total komisch. Geht man abends mal spazieren, denken die gleich, man hat Ärger zuhause oder gar kein Zuhause. Sie schauen dich an, und du weißt, sie denken nur Schlechtes. Können sich nicht vorstellen, dass es auch schöne Gründe gibt, abends spazieren zu gehen.«
Dem maulfaulen Menschenschlag ganze Sätze zu entlocken war mühsam, nur weniges erfuhr Johanna, aber immerhin sickerten zwei Sachen durch:
Es gab einen Keller in Müncheberg, da haben Russen Leute erschossen, einfach an die Wand gestellt. Die Flecken kann man heute noch sehen. Kurz davor hatte die Wehrmacht in Müncheberg gewütet und in den letzten Tagen vor der Kapitulation Deserteure öffentlich aufgeknüpft. Es reichte schon, wenn herumirrende Soldaten, die ihre Truppe verloren hatten, mit einer Landkarte in der Hand erwischt wurden, das galt als Beweis für Fahnenflucht. Die armen Männer baumelten, bis die Russen nach Berlin weitermarschierten. Dann hat man sie verscharrt, irgendwo liegen sie heute noch. Niemand will es wissen. Der Wald steht schwarz und schweiget. Dass nach dem Krieg hier militärische Übungen stattfanden, erfuhr Johanna dann noch. Altlasten stecken heute noch im Märkischen Boden. Den Minen im Boden fiel noch Jahre später manch einer zum Opfer. Das Pilze- und Beerensammeln im Wald haben Johanna und Bernd schnell aufgegeben.
Einmal kam eine Nachbarin auf einen Kaffee vorbei, die meinte Johannas Sorgen zu verstehen. Das Reihenhaus habe falsche Proportionen. Die Haustür und das große Wohnzimmerfenster in einer Linie, eine Katastrophe. »Die Energie kommt rein und sie geht gleich wieder raus. Siehstdu das nicht?« Schon im Frühling merkte Johanna, dass im Garten nichts wachsen wollte. Die Rasensaat kam nicht hoch, die Zwiebeln gingen nicht auf, die Hecken schossen keine Triebe. Der Garten wirkte verwahrlost. Diejenigen Nachbarn, die blühende Gärten vorweisen konnten, schütteten Tonnen neuer Muttererde hinein. Aber der Boden in Johannas Garten blieb wie tot, hätte auch Muttererde gebraucht. Aber Johanna glaubte nicht daran, da liegt wohl ein alter Sowjetsoldat im Tümpel, der Heimweh hat, deshalb wächst hier nichts. Das ist doch der Grund, resignierte sie. Auch das Häuschen war anfangs in einem schlechten Zustand. Die feuchte Stelle in der Küche beispielsweise, wo die Tapete sich schon löste. Der Handwerker, der kam, zeigte sich unverhohlen angewidert. Er bekam einen Schlüssel, der wanderte an die nachfolgenden Handwerker weiter, die Laminat verlegten und auch Kacheln und Armaturen ausbesserten. Bei einem Kontrollgang stellte Bernd fest, dass sämtliche Wände im Gästeklo nass gepinkelt waren. Es muss ein Handwerker gewesen sein, mutmaßten sie, wer sonst. Johanna und Bernd waren schockiert und fragten sich, ob vielleicht ein alter Handwerksbrauch dahinterstecken mochte. Kein abwegiger Gedanke übrigens, so ist auch der »Einbrecherhaufen« überliefert. Ein in ganz Europa bekanntes Phänomen, dem sonderbaren Glauben unter den Verbrechern alter Zeit geschuldet, dass die Tat so lange unentdeckt bleibt, als die Exkremente nicht erkaltet sind. Und so bohrte und flehte das Nein zu Müncheberg schon von Anfang an, bitte doch gehört zu werden, aber Johanna und Bernd wollten es nicht hören. Für Müncheberg sprach nicht weniger als die Summe der vernünftigen Argumente: die kurze Entfernung zum Arbeitsplatz, die himmlische Ruhe, die umfassendeNaturnähe, die kindergerechte Übersichtlichkeit, die anderen Familien um sie herum. Sie arrangierten sich eine Weile mit dem kargen Garten, den verdrucksten Menschen, dem grauenhaften Feng Shui. Bernd ging ins Institut, Johanna arbeitete an ihrer Doktorarbeit und fuhr hin und wieder nach Berlin, wo sie einen Lehrauftrag hatte, das Kind
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