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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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Tote.
    Dann war Mitternacht, die Kellner servierten den Champagner, Wainwright stellte sich an die Spitze der Tafel. Er kündigte ein irisches Liebeslied an, und bevor er es sang, erklärte er interessant dessen Inhalt. Der Gesang war sehr ergreifend, ein Erlebnis. Eine weiche, große Stimme, ein Zauber, ein echter Star, welch ein herrliches, unvergessliches Geburtstagsgeschenk von Francesca von Habsburg für die beiden Jubilare. Und ich hatte vielleicht die Spur eines weiteren Gespenstes gefunden.
    Die Windmühle weist wirklich einige Merkwürdigkeiten auf: Die höchste Dichte von Neues-Deutschland-Abonnenten, aus jedem dritten Briefkasten ragt morgens die sozialistische Tageszeitung. Zu DDR-Zeiten lebten hier viele Staatsschauspieler, Zentralkomitee-Mitglieder und Parteileute, sie genossen den Blick über das geteilte Berlin. Dies erfährt man, wenn man sich in den Windmühlen-Snack neben dem Haupteingang begibt, wo man eine ganz passable Bloody Mary für 1,50 Euro bekommt. Vom Hocker aus kann man Fotos von sich umarmenden Windmühlen-Snack-Gästen in Partystimmung betrachten, und die Kioskfrau sagt, hier ist freitags Rambazamba. In aller Gemütlichkeit signalisiert das Schlürfen der Bloody Mary: Ich habe es nicht eilig, ich bin harmlos, mit mir kann man reden, also sprich.
    »Ich komme gerade aus Karl-Marx-Stadt«, ruft ein Mann beim Eintreten und bestellt eine Bockwurst bei der Kioskfrau, die sich in das kulturwissenschaftliche Buch »Vergnügen in der DDR« vertieft hatte.
    »Wie ist das Buch«, frage ich.
    »Gut, ganz gut eigentlich.«
    Das allgemeine Geplänkel ist vorbei, ich werde über dieSelbstmordserie informiert. Auch der Mann aus Karl-Marx-Stadt erzählt. »Wir sind ja im negativen Sinne bei Selbstmördern beliebt. Das war schon in der DDR so. Aus der ganzen DDR kamen sie.«
    »Es sind drei bis vier im Jahr. Erst vor drei Wochen wieder, nachmittags. Ich nehme schon gar nicht mehr den Hinterausgang, weil ich Angst hab, mir fällt einer auf den Kopp.«
    »Ich geh immer an der Wand lang.«
    »Ich dachte noch, das ist aber ein großer Vogel, so große Vögel gibt’s doch gar nicht.«
    »Manchmal sieht man weinende Leute am Parkplatz, mit Blumen und Kerzen, Sonnenbrille, nachdenklich. Da denkt man sofort, das sind bestimmt wieder Angehörige.«
    Wer nach oben will, muss die linken Fahrstühle für die geraden Stockwerke nehmen und die rechten Fahrstühle für die ungeraden. Gerade und ungerade Nachbarn lernen sich im Fahrstuhl also nicht kennen. Der Flugbalkon im 24. Stock ist fast achtzig Meter über dem Boden, er verursacht Schwindel und Angst, obwohl der Ausblick toll ist, aber nicht zum Aushalten. Alles ist voller Kritzelnachrichten aus Hass und Traurigkeit, aber vor allem der 23. Stock ist gezeichnet. Dieser Balkon hat schon viel erlebt.
    Lebe weiter springe nicht es lohnt sich gez. Gott.
    Tod ich ficke deine Leben.
    MCM bis in den Tod.
    MCM bis in den Tod.
    In keinem Fall springen! Alles wird gut. Gez. I.
    To die for.
    Bescheuert, dass es immer der 23. Stock sein muss und nicht der 24. sein kann. Die Deutschen sind solche Lottospieler (Zahlenmystiker).
    Nun ist es Zeit für eine Geschichte, die aus Gründen der Ethik in einer Form wiedergegeben wird, die den Empfehlungen von Psychiatern und Psychologen folgt, die sich mit dem Thema Suizid und seiner Aufbereitung in den Medien auseinandergesetzt haben. Zur Vermeidung des so genannten Werther-Effektes sei es diesmal so erzählt: Einmal trafen sich auf diesem Balkon zwei Wesen, das eine kam aus einem westdeutschen Flächenland, das andere aus einer ostdeutschen Stadt, wo Fußball und Bier mehr Bedeutung als alles andere haben. Die Wesen aber tranken Sekt miteinander. Denn das eine Wesen beging seinen Geburtstag, die Polizei fand später entsprechende Flaschen und noch volle Pappbecher. Nach der Feier warf das eine Wesen die Katze Mimi, die in einem Korb eingesperrt war, hinunter, und dann sprangen die beiden Wesen, Hand in Hand. Es gab Zeugen, die das Polizei und Zeitungen nachher so berichten konnten. Das eine Wesen gehörte zu den Teufelsverehrern, war schon viele Jahre Mitglied in einem Satanistenzirkel, hatte bereits Selbstmordversuche hinter sich und die Wohnung voller Abschiedsbriefe. Das andere Wesen arbeitete an einer Universität und lebte ein unauffälliges Leben. Vollidioten.
    Abstieg über das Treppenhaus, bei jedem Stockwerk über den entsprechenden Balkon. Schwindel und Angst lassen bis zum zwölften Stock nicht nach. Im 14. Stock noch mal

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