Die Gespenster von Berlin
Wollt ihr mal sehen?«
Das Zimmer war ungeheizt, es standen Kartons herum, Bücherstapel, volle, zugeknotete Plastiktüten, Schallplattenkisten und Koffer. Eine Ecke war deutlich verschimmelt, von oben bis unten zog sich die ekelhafte Spur. Auf rosa gestrichener Raufasertapete war ein weiteres Fleckenfeld zu sehen.
»Die haben die Außenwand zum Hof saniert und dabei total gepfuscht«, sagte Kristof. »Die Wand wurde nass, dazu die neuen Thermofenster, das reinste Labor für schwarzen Schimmel. Sobald wir eine neue Wohnung haben, sind wir hier raus. Bella wollte nie in diesem Zimmer schlafen, die hat sich strikt geweigert, von Anfang an, lange bevor der Schimmel überhaupt zu sehen war.«
Als wir uns von dem Anblick lösten, fragte Kristof, ob uns etwas auffallen würde. »Der lange Fleck hier?«
Uns fiel nichts auf. Ein Fleck eben, ein Fleckengebilde, das quer über die Wand reichte. Im Wohnzimmer zeigte er uns dann Fotos. Mindestens ein Dutzend Aufnahmen hatte er von dem Fleck gemacht, stark vergrößert, mal mit, mal ohne Weitwinkel. »Erkennt ihr was? Seht ihr das nicht? Schaut mal.« Er nahm einen schwarzen Filzstift und verband einen Fleck mit dem nächsten. Es kam zu ein paar einfachen Verbindungslinien, die der Morphologie des Fleckes entsprachen. Schließlich stand da:
я люблю тeбя
»Das ist kyrillisch. Ausgesprochen Ya lyublyu tebya . Das ist russisch für I love you . Genau übersetzt heißt es eigentlich: Du bist diejenige, die ich liebe . Ich habe es wiedererkannt, weil ich eine Platte habe, wo das draufsteht.«
Er zeigte uns das Plattencover und dann auch noch einen Lexikonausdruck aus dem Internet. Es war nicht zu leugnen. Da stand auf Russisch »I love you« an der Wand. »Aber was soll das bedeuten?«, wollten wir wissen. »Ist das etwa eine Botschaft vom Poltergeist? Was sagt Melanie dazu?«
»Wir reden im Moment wenig. Was auch was Guteshat.« Er rieb sich die Augen und seufzte. »Das ganze Haus dreht durch. Alle schreien sich nur noch an. Seitdem ich auf der Couch schlafe, höre ich jeden Abend, wie sich das Paar von unten gegenseitig anschreit. Der Mann hat ständig neue Freundinnen, aber alle schreien sie. Und jeden Morgen, wenn ich aufwache, höre ich, wie die Frau von nebenan ihren Typen anbrüllt. Er ist immer still, sagt kein einziges Wort, aber sie schreit wie ein Tier, die kann pöbeln, das ist widerlich. Außerdem verschandelt sie den Hinterhof mit blauen Keramikkugeln.« Während wir so aßen und tranken, überlegten wir, ob der Poltergeist eine Reaktion auf die Schimmelbildung sein könnte. Seit dem Pfusch an der Außenwand sei das Haus am Kippen, sagte Kristof. Alle seien furchtbar gereizt und streitlustig. Da fiel mir der Hausentstörer ein. Ich berichtete Kristof, dass ich durch die Gespensterrecherchen auf die Spur eines sogenannten Hausentstörers gekommen sei, ein gewisser Anton Peter Neumann aus dem Prenzlauer Berg. Vielleicht sollte man den mal auf den Poltergeist und das gestörte Haus ansetzen? Und ich könnte dann darüber berichten, wie der Poltergeist in eine kleine Lampe gefüllt wird, die uns in Zukunft alle Wünsche erfüllen kann.
»Das wäre was für meine Mutter. Das ist bestimmt so ein Ingenieur mit Feng-Shui-Zusatzausbildung, der Wasseradern findet. Aber ganz sicher kein Ghostbuster.«
Doch, sagte ich, das muss ein Ghostbuster sein, schon allein wegen der Geschichte für mein Buch. Also schrieb ich dem Hausentstörer bald darauf eine E-Mail.
Betreff: Anfrage über www.antonneumann.de
Lieber Herr Neumann,
ich weiß gar nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, aber vielleicht können Sie mich kurz informieren, dann würde ich mich ggf. wieder bei Ihnen melden.
Kennen Sie sich mit Gespenstern aus bzw. würden Sie geister-/gespensterartige Vorkommnisse zu den Aufgabengebieten Ihres Entstörungsdienstes zählen?
Haben Sie mit Gespenstern und ggf. ihrer Vertreibung bereits Erfahrungen gesammelt?
Danke schon mal für jede Nachricht, und mit freundlichen Grüßen, Sarah Khan
Betreff: Re: Anfrage über www.antonneumann.de
Hallo Frau Khan!
Ja, beide Fragen JA!
Sie sind sozusagen an der richtigen Adresse.
MfG
A. P. Neumann
Kristof und Anton Neumann haben sich nie kennen lernen müssen.
Kristof und seine Familie sind bald aus der Meyerheimstraße ausgezogen, in eine kleine ruhige Straße in Mitte, in eine helle Wohnung mit Blick auf eine Wiese. Ab da wurde alles wieder gut, alles wieder Liebe. Kristof blieb während der heiklen Zeit merkwürdig
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