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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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gelassen. Andere hätten Opern aufgeführt. Immerhin hatte sie einen Liebhaber! Aber Kristof saß es aus und er gewann. Er sitzt nicht vor den Scherben eines kaum versuchten und schnell gescheiterten Familienglücks. Gehen Sie mal auf einen Kindergeburtstag von einem 3-Jährigen im Prenzlauer Berg. Da sitzen unter den Gästen immer irgendwelche frisch getrennten Elternteile auf dem Teppichboden, essen Lillifee-Muffins und erkundigen sich nach kleineren und billigeren Wohnungen. Viele, die sich vorher Seitenstraßen und lichte Vorderhäuser leisten konnten, müssen dann auf die Greifswalder Straße oder die Danziger ausweichen, und wenn sie ganz großes Pech haben: Hinterhaus. Das sind die stark befahrenen, lauten Straßen, wo die Mieten trotz Lebensart eher günstig bleiben. Das sind die Boulevards of Broken Dreams von Berlin.

Ironie und Patina
    Das Mietshaus an einer Ecke des Hacke’schen Marktes wurde nach der letzten Jahrhundertwende entmietet, entkernt, saniert. Ein stolzes Haus, das die Illusion der Kontinuität von Prosperität so perfekt ausstrahlt, wie es die Häuser in der Münchner Ludwigstraße oder auf dem Hamburger Jungfernstieg tun. In den Neunzigern war es hier schäbig und szenig, unten die Aktionsgalerie und eine rumpelige Kneipe, im zweiten Stock der Geist eines jungen Freaks namens Ingo. Ingo wohnte hier, nahm Ketamin, eine Droge, die einen kurz bewusstlos macht und auf Reisen schickt, und er starb, bevor er in seinen Körper zurückkehren konnte, denn seine Zigarette verursachte einen Schwelbrand, er erstickte. Der Schriftsteller Norman Ohler, der Ingos Wohnung mitsamt Einrichtung mietete, spürte sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Er recherchierte Leben und Sterben des jungen Ketaministen und errichtete ihm dann mit dem Roman »Mitte« ein literarisches Denkmal wider den Bauboom und die Gentrifizierung eines Stadtteils, der für Leute wie Ingo nach der Wende ein unschuldiges Kunstwerk war, das nicht vom Kapitalismus besudelt werden durfte.
    Der Hauswart, der gerade nach dem Rechten sieht, hört sich die Geschichte von Gespenst Ingo ausdruckslos an. »Das würde natürlich erklären, warum hier so viele Birnen kaputt gehen«, sagt er. – »Echt?« Er quält sich die Spur eines Lächelns ab. »Ich hab noch ältere Häuser, und da spukt es auch nicht.« Die aktuellen Mieter der Geisterwohnung heißen Alex Römer und Thomas Wildberger. Sie betreiben seit kurzem eine gemeinsame Werbeagentur undwirken unglaublich lieb und deutlich ironiefreier als der Hauswart. Sie sitzen sich an Schreibtischen gegenüber und zerbrechen sich die Köpfe. Konfrontiert mit der Mitteilung, dass in diesen Räumen ein junger Mann starb, der Gespenst wurde, zeigen die Werber erst mal Freude an der Ablenkung. »Grundsätzlich kenne ich das Gefühl«, sagt Alex Römer, »dass man in einem Raum ist und spürt, da stimmt was nicht. Hier gibt es das nicht.« Die beiden weiden sich an der Enttäuschung, die diese Worte provozieren. »Aber!«, sagt er. »Wir waren vorher in einem anderen Teil dieser Etage. Da haben wir uns nie wohl gefühlt. Ganz schlechte Wellen. Nach einem halben Jahr sind wir umgezogen.«
    Leisen Schrittes führt er in die leeren Zimmer. Eierschalenweiße Wände, edles Parkett, herrschaftlicher Blick auf die Geschäftsstraßen. Wir befinden uns in dem entkernten Teil des Hauses, der wie Altbau wirkt, aber Neubau ist. »Die Gegend nervt«, sagt Römer und schaut versonnen aus dem Fenster. »Hundert Prozent Touristen.« Verschiedene Agenturen hätten sich hier eingemietet, erzählt er, die seien aber schnell wieder ausgezogen, weil sie expandierten oder es nicht ertrugen. Da gebe es einen unerquicklichen Gewerbemietvertrag, auf gefühlte tausend Jahre, da käme man nicht so einfach raus, und eine für ihn undurchschaubare Reihe von Untermietverhältnissen. Das also ist die Metaphorik der modernen Gruselgeschichte, die sich auf ihre Weise anschließt an die Prosa von E. T. A. Hoffmanns Das Öde Haus oder E. A. Poes Bild von der »unerträglichen Düsternis« im Untergang des Hauses Usher : Ausbezahlter Leerstand, kahle, staubfreie Kubikmeter, die absolute Abwesenheit tickender Uhren und ihrer Sklaven in hochfenstriger Helligkeit. Das ist nicht frei von einer Ironie, die selbst das immobilienmarktkritische Gespenst Ingo überraschen dürfte. Hier hat es also sein Reich gefunden, ein Paradies ohne Patina, umgeben von melancholischen Kreativen, die darauf warten, dass ihre Verträge endlich auslaufen.
    »Wo

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