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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Khan
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reagierte. Plötzlich zankten sie sich darüber, wer von beiden die Belastungen durch das Baby realistischer einschätzen könne. Das führte in einen Kampf um die Regelung der zukünftigen Arbeitszeiten. Es war ein Streit mit hohem Wiedererkennungswert, auch wir hatten diese Debatte unzählige Male geführt. Wir erlaubten uns die Bemerkung, dass das erste Jahr mit Baby seinen eigenen Gesetzen folge. Wir sagten, sie sollen doch bitte abwarten und zuversichtlich bleiben. Doch anderer Leute Weisheit half den Kontrahenten nicht. Sie stritten weiter, wir aßen stumm das Huhn in Weinsoße, noch unschlüssig, ob gelangweilt oder genervt, doch sicher nicht gut unterhalten. Eigentlich wollten wir mit Kristof noch auf eine Party gehen, aber es schien klar, dass Melanie das nicht dulden würde. Und wenn es da wirklich so ein Ding gab, einen Hausgeist oder Poltergeist, ausgestattet mit Ohren und Gefühlen, dann war der vermutlich noch viel weniger bereit, den öden Zank angehender Eltern zu ertragen. Da knallten die Glühbirnen der Lampen durch. Einzig die Kerzen auf dem Tisch gaben noch Licht. Wir saßen da in schönster Séancen-Stimmung. Da versammelte der Geist noch einmal Kraft, und zwei goldene Bilderrahmen fielen von der Wand, ohne zu brechen. Ein dumpfer Knall, dann war Ruhe. Kristof sagte als Erster was. »Das ist ein Kommentar. Es mag nicht, wenn wir streiten. Es reagiert auf unsere Beziehung. Wahnsinn.«
    »Negatives Karma!«, ermahnte Melanie ihn.
    »Nenn es, wie du willst«, sagte Kristof, »aber da ist eine Energie.«
    »Ich will nichts hören!«, sagte Melanie, ging in die Küche und holte neue Glühbirnen, die sie gleich in die Lampen schraubte.
    Ich weiß nicht mehr, was wir sagten, aber wir fanden keine anderen Erklärungen. Der Poltergeist war viel zu spannend, als dass andere Theorien in Betracht kamen. Wir mussten ja nicht dort wohnen. Herrlich.
    Kristof sah sich die Stellen an der Wand an, wo die Rahmen hingen.
    »Ich habe diese Rahmen mit richtig fetten Dübeln aufgehängt, die hätten ein Erdbeben überstanden. Ich baue seit zehn Jahren Ausstellungen und Messen auf, und ich weiß nicht, wie diese Rahmen da einfach runterfallen konnten.«
    »Mag sein. Aber ich will nicht darüber reden«, sagte Melanie. »Ich bin schwanger.«
    »Ich will doch nur ganz normal darüber reden, emotional nicht anders als über Fußgängerzonen«, sagte Kristof. Er sagte wirklich: emotional nicht anders als über Fußgängerzonen. Merkwürdig. Wer in aller Welt spricht normal über Fußgängerzonen? Und zu uns gewandt: »Ich komme aus einem sehr katholischen Elternhaus, da ist die Existenz von allem Möglichen drin. Meine Mutter hat, als sie ein Kind war, in den 50er Jahren im Rheinland Ufos landen sehen.« Dann gab es Mandelpudding, und Kristof durfte sogar mit zur Party.
    Unseren dritten und letzten Besuch in der Meyerheimstraße machten wir, als Baby Bella schon fast ein Jahr alt war und Kristof und Melanie sich gerade getrennt hatten. Sie lebten zwar noch zusammen in dieser Wohnung und liebten, hegten und pflegten ihr reizendes Mädchen gemeinsam, aber als Liebespaar betrachteten sie sich nicht mehr. Kristof schlief im Wohnzimmer auf der Couch undMelanie und Bella im mittleren Zimmer. »Und wer hat den hinteren Raum?« Da schüttelte Kristof den Kopf und hielt den Finger an den Mund.
    Melanie stillte Bella, übergab sie Kristof, und dann verschwand sie zu ihrem neuen Lover. Bella wurde gebadet, bekam noch etwas Bananenmus, und dann brachte Kristof sie ins Bett, er machte das alles ziemlich toll und zeigte seine Schmach und sein Innerstes mit keinem Wort, keiner erkennbaren Regung. Wir setzten uns an den Tisch und tranken Bier, aßen Würstchen mit Kartoffelsalat, Kristof hatte ihn selbst gemacht, mit frischen Kräutern und roten Zwiebeln. Ich konnte erzählen, dass ich ein Buch über Berliner Gespenster plane, denn es hätten mir in letzter Zeit immer mehr Leute von ihren Hausgespenstern und Spukerlebnissen berichtet, und ein nicht ganz unbedeutender Verlag sei interessiert an dem Projekt. Kristof beglückwünschte mich. Er hatte alle meine Romane gelesen und ihm war auch schon aufgefallen, dass meine Buchproduktion im Schatten der Kinderaufzucht in den letzten Jahren ins Stocken geriet. »Was treibt euer Poltergeist?«, fragte ich.
    »Viel«, sagte Kristof.
    »Was denn?«
    »Im Zimmer zum Hof haben wir jetzt schwarzen Schimmel. Eine Wand ist total nass. Da kann man mit einem Baby nicht mehr leben. Das geht gar nicht.

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