Die Gespenster von Berlin
»Wir haben keine andere Wahl mehr,« hatte sie Herrn Neumann am Telefon gesagt. »Mein Mann baut ab, der baut so extrem ab.« Er fuhr in den Grunewald und sah sich das Haus an, geopathologische Klärung nannte er das, dieses Umherstreifen durch Haus und Garten. Die Hausherrin begleitete ihn nicht, da sie einen Empfang für den Abend vorbereitete. Auch der kranke Hausherr war nicht anwesend, das war für Neumannns Entstörungsdienst auch gar nicht notwendig. Nur ein kleines Mädchen, die Enkelin, schloss sich dem Hausentstörer an. Als sie im ersten Stock im Bad standen, erkannte das Kindbeim Blick in die Spiegelfronten eine dritte Person. Sie sagte: »Der quakt immer so komisch. Der quakt so.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Spiegel und verließ das Bad. Der Hausentstörer war dankbar, dass das Mädchen ihm seine Arbeit so leicht machte. Er konzentrierte sich eine Weile und verstand, dass es sich bei der Person im Spiegel um einen früheren Bediensteten handeln musste, der nicht gehen wollte. Jedes Mal, wenn der Hausherr ein Bad nahm und der Spiegel mit Dampf beschlug, tauchte der Bedienstete aus einem fernen Reich hinter den Spiegeln auf. Aus Sicht des Hausentstörers konnte er dort bleiben.
Das Ehepaar sammelte Kunst, besaß Skulpturen von einem jungen polnischen Künstler, der kaputte Engel schuf. Ein Engel mit einem Bein, ein Engel mit einem Flügel, mit der Fratze eines halben Gesichts. Der Hausentstörer wusste, dass diese Skulpturen andere Wesen anzogen. »Das ist ganz normal«, sagte er zu mir, als wäre das so zutreffend wie die Aussage »Auf Armaturen bilden sich normalerweise Kalkablagerungen«.
Er ging weiter und sah im Wohnzimmer eine große, alte Statue aus Afrika, die aus der Tradition der schwarzen Magie kam. Sie war aus Holz und roch nach Blut und Leder. Seiner Meinung nach konnten auch diese Kunstwerke bleiben. Eine Putzfrau würde ja auch nicht Skulpturen wegpacken, nur weil sich ständig Staub darauf ablagerte. Ein Profi mischt sich da nicht ein. Dann nahm Herr Neumann seine Erfindung aus der Tasche, einen Lichtstecker, und steckte ihn in eine Steckdose. Auf der Lichtfläche des Steckers klebte ein von ihm selbst gestalteter Aufkleber mit einer Graphik, die an ein Tribal Tattoo erinnerte. 380 Euro berechnet er allein für den Stecker, einen »Cosmic Transformer«, der »heilende Informationen« in das Magnetfelddes Hauses überträgt. Herr Neumann weiß, dass seine Erfindung die Besetzungen besänftigt. Und damit war für ihn die Angelegenheit erledigt. Ich fragte ihn, wieso im Badezimmer des Immobilienhändlers ein Bediensteter im Spiegel saß? Er wisse es nicht, sagte Herr Neumann.
Ich fragte, woher kommt die afrikanische Statue, was hat sie für Kräfte?
Er zuckte mit den Achseln. Das war er, der wesentliche Unterschied zwischen uns: Die Geschichten dieser Menschen mit ihren Geistern interessierten mich, aber ihn nicht. Deshalb war er auch ohne innere Beteiligung, jeden Irrsinn nahm er hin. Geisterjäger aber, und das weiß man aus den Filmen, zeigen Angst oder Abscheu, sie schreien und schütteln sich, sie müssen sich überwinden, ihnen stehen die Haare zu Berge, sie handeln in Not. Sie zeigen, dass sie Menschen sind. Doch am Arbeitsplatz des Hausentstörers sind die merkwürdigsten Vorkommnisse nur Teile vom Ganzen, und der Entstörer selbst scheint unbeteiligt. Ob er dem Immobilienhändler hatte helfen können, ob der Kunde an seiner Krankheit starb, an welcher Krankheit er überhaupt litt – das interessiert Herrn Neumann nicht. Er vertraut der Kraft des kosmischen Steckers und lässt den Dingen ihren Lauf. Vielleicht konnte der Stecker die Atmosphäre in der Villa wirklich ein wenig reinigen, das mag sein. Doch selbst die beste Putzfrau weiß, dass auch starke Reinigungsmittel nicht verhindern, dass bald alles wieder schmutzig ist.
Als Nächstes erzählte er mir die Geschichte einer Klientin, die sich 28 Jahre lang die Seele aus dem Leib gekotzt hatte. Das Kotzen war von einem Moment auf den anderen vorbei, was sie einem grauenhaften Erlebnis verdankte: Sielag auf dem Bett, sah aus dem Fenster und erblickte einen Dinosaurier, der die Straße herunterkam und auf sie zusteuerte. Der Dino steckte seinen Kopf durch das Fenster. Sie rannte zur Tür, die Klinke zerfiel, die Wand löste sich auf, das Telefon diffundierte, der Dino fletschte die Zähne. Kurz bevor er sie auffraß, war der Traum zu Ende. Von da an hatte sie keine Kotzattacken mehr. Toll, sagte ich, eine tolle
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