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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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wegnahm. Ich hoffte, Lilly würde sich um Jonathan kümmern, der nun wohl den Rest seines Lebens halb als Mensch, halb als Vogel würde verbringen müssen. Aber wenigstens durfte er leben.
    Udo schien zu erkennen, dass es mir mit meiner Drohung ernst war. Er überlegte noch kurz, dann aber schwenkte er den Revolver zur Seite und schubste Lilly derb, so dass sie zwei Schritte nach vorne taumelte.
    »Lilly, lauf!«, sagte ich nur.
    »Aber …«, widersprach sie, und ihr Blick war flehend und gleichzeitig voller Todesangst.
    »Du kannst mir nicht helfen, geh!«, schrie ich sie ebenso vehement an wie vorher Udo. Steif wie eine Marionette drehte sie sich gehorsam um und ging mechanisch ein paar Schritte, ehe sie endlich zu rennen begann. Nach kurzer Zeit war sie hinter den Felsen verschwunden. Frank machte instinktiv eine Bewegung, als wolle er ihr folgen, aber mein Befehl: »Stopp! Oder der Ring ist weg!«, wirkte, und Frank blieb, wo er war.
    »Ach, lass sie doch laufen, die kriegen wir später schon noch«, beruhigte Udo ihn, ehe er sich mir zuwandte. »Los jetzt, her mit dem Ding«, kommandierte er.
    Jetzt, da er Lilly nicht mehr als Geisel hatte, richtete er den Revolver nun auf mich und ging auf mich zu. Frank näherte sich von der anderen Seite. Die beiden kreisten mich ein, so dass ich keine Chance hatte, ihnen zu entkommen, denn nur zwei Schritte hinter mir gähnte der Abgrund.
    Kurz überlegte ich, den Ring trotzdem in die tiefe Schlucht zu werfen, um zu verhindern, dass der Dieb von einst den Schmuck nun wiederbekam. Doch Udo schien zu ahnen, was ich vorhatte.
    »Wenn du jetzt wirfst, schieße ich dir die erste Patrone ins rechte Knie. Die zweite ins linke. Als Nächstes jage ich dir zwei Kugeln durch deine Handflächen. Damit du merkst, dass niemand einen Udo von Hassell verarscht«, sagte er. »Und zum Schluss werfe ich dich lebend in die Schlucht und sehe von hier oben zu, wie du langsam verblutest.«
    Obwohl ihm der Schweiß unvermindert übers Gesicht strömte, sprach er in einem beiläufigen Plauderton, der meine Angst nur noch größer werden ließ. Instinktiv spürte ich den Wahnsinn, der von ihm Besitz ergriffen und jegliches Gefühl bei ihm ausgeschaltet hatte, falls bei ihm überhaupt noch Reste davon übrig gewesen waren.
    Mein Blick flog zu Frank. Von ihm war sicher keine Hilfe zu erwarten. Seine blinde Loyalität zu Udo hatte schon damals dazu geführt, dass er mich herzlos dem Tod überlassen hätte. Und daran hatte sich nichts geändert. Außer … Eine Idee nahm in meinem Kopf Gestalt an, doch sie war nicht ohne Risiko.
    »Sag mal, Udo, wieso hast eigentlich immer nur
du
den Ring gehabt?«, rief ich laut zu ihm herüber. »Ich dachte, Frank ist dein Freund! Hättest du ihm nicht ein bisschen was von dem Geld und dem Erfolg abgeben können, den der Ring dir eingebracht hat?«
    Mit diesen Worten drehte ich mich leicht in Franks Richtung und nahm den Ring zwischen Zeigefinger und Daumen. Die Strahlen der Spätnachmittagssonne trafen den Stein und versprühten grünes Saphirfeuer, während das Gold verführerisch schimmerte.
    »Oder hast du es Frank nicht gegönnt?«, fuhr ich an Udo gewandt fort. »Na ja, war ja auch viel bequemer für dich, wenn er von dir abhängig war und alles getan hat, was du wolltest, stimmt’s?«
    »Schnauze, Emma!«, rief Udo heiser. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn bedrohlich näher rücken. Trotzdem behielt ich Frank scharf im Auge. Beim Anblick des Ringes hatte sich dessen Gesichtsausdruck schlagartig verändert. Sein Blick war starr auf das schimmernde Schmuckstück gerichtet, und in seinem Gesicht spiegelten sich widerstreitende Empfindungen: Sehnsucht, Habgier – und Tücke.
    Da war Udo aber bereits mit zwei Schritten bei mir und richtete die Waffe auf mich. »Gib ihn her!«, zischte er, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu tun, was er verlangte. Wie ein Verdurstender nach einem Becher Wasser grapschte Udo mit seinen dicken Fingern nach dem Zauberring.
    »Endlich habe ich dich wieder!«, murmelte er und betrachtete andächtig das grün-goldene Farbenspiel.
     
    Aus meinem Körper wich schlagartig jede Kraft, und in meinem Kopf herrschte eine seltsame Leere, als wäre die Welt um mich plötzlich in dichtem, weißgrauem Nebel versunken. All meine Pläne und Wünsche für Jonathan und mich lösten sich in nichts auf. Stattdessen hatte ich nur noch ein paar wenige Augenblicke zu leben. Sobald Udo den Blick von dem Kleinod losreißen konnte, würde er

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