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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Inter-Netz-Café tut. Jetzt werde ich wahrscheinlich nie herausfinden, wo Caro lebt.«
    Der Rabe schmiegte seinen Kopf an meine Wange und knirschte tröstend mit dem Schnabel. Ich hob die Hand und strich vorsichtig über seinen Rücken. Das Federkleid fühlte sich überraschend weich und seidig an. Mir schoss durch den Kopf, wie es wohl wäre, wenn Jonathan noch in menschlicher Gestalt vor mir stünde. Sicher hätte ich mich dann nicht getraut, ihn so einfach zu berühren. Und er hätte mir wahrscheinlich nicht am Ohr herumgeknabbert. Scheinbar konnte er meine Gedanken lesen, denn er kniff mich spielerisch in die Ohrmuschel. Unwillkürlich musste ich lächeln.
    »Also gut, aufgeben gilt nicht«, sagte ich, und der Rabe trippelte bestätigend auf meiner Schulter herum. »Wir gehen jetzt in dieses komische Netz-Café, und ich versuche, Udo ausfindig zu machen. Je schneller wir den Ring finden, desto besser«, erklärte ich und fügte seufzend hinzu: »Auch wenn es mit Caro zusammen sicher einfacher gewesen wäre.«
     
    Beim Betreten des Cafés fühlte ich mich schlagartig in eine andere Welt versetzt. Besser gesagt in ein Parallel-Universum. Etwa ein Dutzend Jungs und Mädchen in meinem Alter hockte vor einer Art plattgewalztem Fernsehbildschirm und hackte auf eine Tastatur ein, die nur entfernt Ähnlichkeit mit denen der Computer hatte, die ich bisher gesehen hatte. Diese Geräte hatten damals »Commodore« und »Atari« geheißen, mit irgendwelchen komischen Spielen drauf, die »Tetris« oder so ähnlich hießen. Es waren klobige, schmutzig graue Kästen gewesen, und ihr Gebläse hatte wie ein altersschwacher Staubsauger geklungen.
    Heute erinnerte nichts mehr an die Technikmonster. Alles war flach, klein und leise. Fasziniert starrte ich auf die Bildschirme, in denen sekundenschnell Bilder und Schriften aufblitzen und mit einer Berührung desjenigen, der die Tastatur bediente, wieder verschwanden. Dann aber kam meine Angst zurück: Wie sollte ich mich jemals an so einem technischen Wunderwerk zurechtfinden?
    »Hey, Tiere sind hier drin nicht erlaubt«, erklang eine Stimme hinter mir. Sie kam von einem Typen in meinem Alter, mit einer Frisur, die sich nicht zwischen Beatles und Simon le Bon von Duran Duran entscheiden konnte. Ein echter Popper sah zwar anders aus, aber ich fühlte mich gleich wohler. Offenbar hatte sich in knapp dreißig Jahren doch nicht alles verändert. Er deutete auf den Raben, der auf meiner Schulter hockte und von dort angriffslustig auf den langen Pony des Sprechers äugte, der diesem beinahe in die Augen fiel.
    »Das ist kein Tier, sondern Jonathan«, erklärte ich ernsthaft.
    Der Typ grinste. »Mich interessiert eigentlich eher, wie
du
heißt«, meinte er und kniff verschmitzt ein Auge zu.
    »Emilia«, gab ich bereitwillig Auskunft.
    Jonathan klapperte protestierend mit dem Schnabel, aber ich gab ihm mit einem kurzes Schütteln meiner Schulter zu verstehen, dass er selbigen halten sollte. Ich wollte nicht flirten, sondern nur Hilfestellung bei der Recherche nach Udos Adresse.
    »Hallo, Emilia. Ich bin Leon«, sagte er und nutzte die Gelegenheit, meine Hand zu nehmen und scherzhaft einen Handkuss anzudeuten. Jonathan krächzte missgelaunt.
    »Wenn dein Anstandswauwau Stress macht, fliegt er raus, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes«, warnte Leon und warf dem schwarzen Vogel einen kurzen Blick zu.
    »Ähm, der ist harmlos«, behauptete ich und versuchte, nicht daran zu denken, was Jonathan wohl jetzt tun würde, wenn er in Menschengestalt wäre und seinen Degen zur Hand hätte. Wahrscheinlich Leon zum Duell fordern. Und ich wäre der Sekundant. Unwillkürlich musste ich grinsen, was Leon als Aufforderung zu verstehen schien, denn prompt wollte er mich zu einer »Latte« überreden. Warum mussten Jungs eigentlich immer gleich anzüglich werden, sobald man sie nur anlächelte, dachte ich seufzend. Daran hatte sich wohl auch in fast dreißig Jahren nichts geändert.
    »Nein, danke. Um ehrlich zu sein, brauche ich Hilfe. Ich muss eine Adresse rauskriegen«, wehrte ich Leons Annäherungsversuche ab.
    »Kein Problem«, meinte er lässig. Scheinbar nahm er sich meine Abfuhr nicht besonders zu Herzen. »Surfen kannst du für zwei Euro.«
    Wieso fing er denn jetzt mit dem Thema Wellenreiten in Europa an, dachte ich verzweifelt. Oder hatte ich mal wieder was verpasst in den Jahren, die ich – im wahrsten Sinn des Wortes – vom Erdboden verschwunden gewesen war?
    »Ich … äh … ich dachte

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