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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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wirklich andere Probleme, als mir Gedanken um einen verzauberten und nun auch noch beleidigten Raben zu machen.
    Schwungvoll stieß ich die Eingangstür auf und prallte zurück. Das große Foyer mit dem alten Marmorboden existierte noch. Die hölzerne Tür mit Guckloch, hinter der unser Hausmeister sein Reich gehabt hatte, war allerdings verschwunden, stattdessen befand sich nun in der Mitte ein chromglänzender Empfangstresen. Dahinter stand eine Frau, die soeben einer Modezeitschrift entstiegen zu sein schien. Der lackschwarze Bob war perfekt frisiert, sie war dezent geschminkt und in einen Hosenanzug gekleidet, der so teuer aussah, dass es mich juckte, sie noch vor der Begrüßung nach dem Preis zu fragen. Aber ich beherrschte mich und marschierte entschlossen auf sie zu. Sie musterte mich, als befürchtete sie, ich würde fragen, ob ich mal eben ihren Müll hinterm Haus nach was Essbarem durchwühlen dürfte.
    »Hallo. Ich war hier im Internat«, fing ich an. »Früher«, fügte ich hastig hinzu, weil ich merkte, dass sie mich weiterhin skeptisch taxierte. »Ich wollte fragen, ob Sie mir vielleicht weiterhelfen können …«
    »Nein«, unterbrach mich der schwarzhaarige Hosenanzug barsch. »Wir sind ein DaySpa und kein Auskunftsbüro!«
    »Ein … was?«, stotterte ich. Genau die gleiche Frage hatte ich Josef schon bei seinem Auto gestellt, fiel mir ein. Und wahrscheinlich würde ich sie noch häufiger stellen, denn es gab wohl ziemlich viele Dinge, die ich im Zwergenreich verpasst hatte.
    »Eine Beautyfarm«, schnappte die Pagenköpfige noch eine Spur unfreundlicher. »Seit wann das denn?«, rutschte mir heraus.
    »Herbst 2001 «, gab sie knapp Auskunft. »Nach dem großen Brand war das Gebäude praktisch wertlos, aber unsere Kosmetikkette hat es aufgekauft und investiert – mit Erfolg«, berichtete sie, nun mit hörbarer Befriedigung in der Stimme.
    »Aber … was ist mit alten Unterlagen, Akten …«, piepste ich.
    »Vernichtet«, antwortete Frau DaySpa ungerührt. »Das Feuer hat vom Dach bis in den Keller gewütet, und was zu dem Zeitpunkt noch nicht verbrannt war, wurde durch das Löschwasser der Feuerwehr zerstört.«
    Fieberhaft überlegte ich, welche Möglichkeiten ich sonst noch hatte. »Könnte ich vielleicht mal einen Blick ins Telefonbuch werfen?«, fragte ich, obwohl es mir schwerfiel, die Empfangsdame, die mich mit ihrer eisigen Art an Schneewittchens Stiefmutter erinnerte, um einen Gefallen zu bitten.
    Sie lachte auf, ein hoher, spöttischer Ton. »Telefonbuch?«, wiederholte sie gedehnt, als hätte ich eine Fremdsprache benutzt. »Ich würde vorschlagen, Sie benutzen dafür lieber den Browser Ihres Smartphones. Und falls Sie keins besitzen …«, ihr abschätziger Blick traf mich, »… um die Ecke gibt’s ein günstiges Internetcafé.«
    Okay, das war’s, dachte ich verzagt.
    »Dafür, dass Sie hier angeblich ins Internat gegangen sind, sehen Sie aber noch sehr jung aus«, sagte die Empfangsdame plötzlich und taxierte mich mit einem Skalpellblick. »Haben Sie was machen lassen – Botox, Filler oder ein Lifting …?«
    Ich hatte weder verstanden, was sie mir mit dem Inter-Netz-Café sagen wollte, noch, was dieses Botox sein sollte, aber eins war klar: Meine Chancen, Caro zu finden, waren verschwindend gering. Von dieser arroganten Zicke würde ich auch keine Hilfe bekommen, weil sie sich nur für sich und ihre Makellosigkeit interessierte.
    »Wenn Sie jung bleiben wollen, dann empfehle ich Ihnen die spezielle Zwergenkur«, gab ich bissig zurück. »Hält garantiert frisch.«
    Ohne auf Wiedersehen zu sagen, ließ ich die Frau stehen und beeilte mich, ins Freie zu kommen. Sie sollte meine Tränen um Caro nicht sehen.
     
    Draußen drehte mich noch einmal um, und mein Blick wanderte über die renovierte Fassade. »Essence of Beauty – DaySpa« stand auf einem großen Schild über dem Eingang. Hätte ich es gesehen, bevor ich hineingegangen wäre, hätte ich mir das Gefühl erspart, ein Trottel zu sein.
    Da spürte ich etwas Federleichtes auf meiner Schulter landen: Jonathan. Er ruckte zweimal mit dem Kopf in Richtung des Schildes. Ich verstand. »Deshalb warst du vorhin so aufgeregt, stimmt’s? Du hast vermutet, dass mein Internat nicht mehr existiert«, meinte ich traurig, und der Vogel nickte.
    »Ich bin geliefert, Jonathan«, gestand ich. »Telefonbücher gibt es im Jahr 2014 wohl nicht mehr. Und ich habe keine Ahnung, was ein Smartphone ist oder was man in so einem

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