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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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eigentlich eher an so was wie eine Telefonbuch-Suche«, erklärte ich.
    Leon sah mich stirnrunzelnd an. »Ja klar. Zwei Euro die Stunde«, wiederholte er.
    Ich war nun komplett verwirrt. War »Euro« ein anderer Ausdruck für Geld? Das alles ergab einfach keinen Sinn. Ich fand mich in der Welt nicht mehr zurecht. Vor lauter Hilflosigkeit und Wut auf meine veränderte Umgebung schossen mir kurz die Tränen in die Augen. Am besten, ich ging wieder und versuchte mein Glück woanders. Ich wandte mich zum Gehen, doch Leon lief mir nach.
    »Hey, was ist denn los, ich dachte, du wolltest eine Adresse im Netz suchen?«, fragte er.
    Ich nickte und zuckte mit den Schultern. »Ich komme alleine nicht klar«, gab ich zu, und es klang wohl ziemlich kläglich, denn Leons lässiges Grinsen verschwand und machte einem besorgten Gesichtsausdruck Platz.
    »Du kennst dich online überhaupt nicht aus?«, wollte er ungläubig wissen. Ich beschloss, zu einer Notlüge zu greifen.
    »Ich war die letzten fünfzehn Jahre mit meinen Eltern in … äh … Papua-Neuguinea«, griff ich zu der erstbesten Ausrede, die mir einfiel. »Sie sind Ethnologen und haben einen Volksstamm erforscht, der fernab jeglicher Zivilisation lebt. Wir sind erst vor ein paar Tagen wieder nach Deutschland gekommen«, spann ich den Faden weiter und wunderte mich über mich selbst und wie problemlos ich eine so haarsträubende Geschichte fabrizierte.
    Leon aber schien beeindruckt. »Krass«, murmelte er. »Kein Wunder, dass du keinen Schimmer vom Web hast.« Wenigstens hatte ich erreicht, dass er sich mit mir an einen der Bildschirme setzte und mich eine halbe Stunde lang in die Welt von Google, Twitter und Wikipedia einführte. Bei seinem Angebot, mir einen Facebook-Account einzurichten, streikte ich allerdings. Stattdessen versuchte ich mich zum ersten Mal in der virtuellen Welt zurechtzufinden. Leider zunächst ohne Erfolg. Zwar fand ich unter Caros Namen einen Eintrag, aber der bezog sich auf eine Frau, die ein Buch veröffentlicht hatte über Runen und wie man sie als Orakel benutzt. Anhand des Fotos und ihres angegebenen Alters von dreiundsechzig Jahren konnte es sich dabei unmöglich um meine beste Freundin handeln. Also hatte sie doch geheiratet und trug nun einen anderen Nachnamen.
    Bei meinem zweiten Versuch hatte ich dagegen mehr Glück. »Udo von Hassell« erzielte immerhin über zwanzigtausend Treffer. Zwei Klicks, und ich wusste, wo er wohnte und dass aus ihm inzwischen ein ziemlich prominenter Anwalt geworden war, über den die Klatschblätter regelmäßig berichteten, da einige Diskobesitzer sowie ein Rennfahrer zu seinen Klienten zählten. Ich wunderte mich sehr, denn als ich in seiner Klasse Praktikum gemacht hatte, war Udos Notendurchschnitt mehr als bescheiden gewesen. Wie er das Abi plus den Numerus clausus für Jura schaffen und in seinem Spatzenhirn die ganzen Paragraphen hatte behalten können, war mir ein Rätsel.
    Doch da blinkte wieder vor meinem geistigen Auge der Goldring auf, und ich erinnerte mich an das starke Gefühl der Macht, das ich verspürt hatte, während er in meiner Hand lag. Sollte Udo etwa mit seiner Hilfe auf der Karriereleiter nach oben geklettert sein? Falls ja, war es für mich wahrscheinlich unmöglich, an den Schmuck heranzukommen. Udo würde ihn wie seinen Augapfel hüten – und falls der Ring tatsächlich Zauberkräfte besaß, würde er seinen Träger durch die Macht, die er ihm verlieh, schützen. Ich war also erneut in einer Sackgasse gelandet. Frustriert kramte ich in meiner Hosentasche nach dem bisschen Geld, das ich seit dem Schulausflug damals immer noch bei mir trug.
    »He, du hast ja noch D-Mark! Ist ja geil«, rief Leon lachend, als ich ihm ein Zweimarkstück hinschob.
    »Ach, sorry, muss mir irgendwie dazwischengerutscht sein«, murmelte ich, ohne zu wissen, mit was man heutzutage zahlte. Jonathan erlöste mich aus meiner Verlegenheit. Im Sturzflug segelte er von meiner Schulter, schnappte sich die Münze und flog mit seiner Beute im Schnabel zur offenen Cafétür hinaus.
    »Das macht er immer so«, entschuldigte ich mich schnell und warf Leon einen zerknirschten Blick zu.
    »Na gut, weil du es bist und ich schönen Frauen noch nie widerstehen konnte … Sieh die halbe Stunde Internetsurf als Willkommensgeschenk nach deinem Papua-Neuguinea-Trip an«, gab Leon sich großzügig.
    »Danke«, murmelte ich. »Es hat sowieso nichts gebracht.«
    »Hast du die Adresse nicht gefunden, die du gesucht hast?«, fragte

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