Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4
ihm nach und dann konnte er sich nur noch durch den Dreck vorwärtsschieben.
Immerhin ist die Luft hier unten besser, sagte er sich. Weniger Rauch.
Er rollte sich auf die Seite, gerade so weit, dass er mit knapper Not den Kopf in die letzte Hütte stecken konnte. Er blinzelte. War jemand hier drinnen? War das ein alter Mann, der dort in der Ecke kauerte? Und das ein Junge, der dem Mann den Arm tätschelte?
Die Gestalten hätten ebenso gut seiner Fantasie entsprungen sein können, aus dem Rauch geformte Trugbilder. Trotzdem krächzte Jonas: »Schicke alle in dieser Hütte zurück ins Zeitloch.«
Er zögerte. Vergaß er nicht etwas? Er wollte nur noch schlafen, die Augen vor dem stechenden Rauch verschließen, Mund und Nase gegen die sengende Luft abschirmen und sich ins Vergessen fallen lassen, wo es keine Rolle spielte, dass die Flammen die Wände hinaufkrochen. Aber Katherine konnte es nicht ausstehen, wenn er Dinge vergaß oder nicht vorausdachte. Gab es noch etwas, das er tun musste, bevor er einschlief?
»Ach … ja«, stöhnte er gequält, weil ihm jedes Wort neue Schmerzen bereitete. »Schicke … mich … auch zurück.«
Sechsundvierzig
Beim Aufwachen hörte Jonas Jubelgeschrei.
»Das ist der Junge, der uns gerettet hat!«
»Er ist am Leben!«
»Jonas!«
Dann hörte er Katherine spotten: »Und ich dachte, du hättest im John-Hudson-Kostüm schlimm ausgesehen. Hast du dich im Schlamm gewälzt oder in Asche?«
Sie schlang die Arme um ihn, dass er einen Moment lang nicht wusste, ob sie ihn umarmen oder schlagen wollte.
»Du Idiot! Ich dachte, du wärst tot! All die Leute hier sind aufgetaucht, nur du nicht.« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Warum hast du mich nicht dabehalten, damit ich dir helfen kann?«
»Du warst praktisch im Koma!«, verteidigte sich Jonas.
»Das hätte sich geändert, wenn du mir eine Minute mehr Zeit gelassen hättest, mich von der Zeitkrankheit zu erholen«, erwiderte Katherine.
»Eine Minute mehr war aber nicht drin«, sagte Jonas.
Katherines Umklammerung wandelte sich zu einer richtigen Umarmung. Der Dreck und die Asche schienen vergessen zu sein.
»Du hast mir Angst gemacht«, flüsterte sie.
»Kann ich mit ihm reden?«, sagte eine leise Stimme hinter Katherine.
Es war Andrea.
Katherine ließ Jonas los, damit er an ihr vorbeischauen konnte. Zumindest hätte er dazu in der Lage sein
sollen
. Blinzelnd versuchte er seine Augen in Schwung zu bringen. Allmählich konnte er eine Gruppe dunkelhaariger Menschen erkennen: Es waren die indianischen Dorfbewohner. Hinter ihnen sah er kahle Wände, was ihm verriet, dass sie sich tatsächlich in dem kühlen, konturlosen Raum außerhalb der Zeit befanden. Doch es dauerte eine Weile, ehe seine Augen auch Dinge in der Nähe scharf sehen konnten, wie Andrea.
Das war doch Andrea, oder? Sie hatte immer noch diese eindrucksvollen grauen Augen und das lange braune Haar, das im Licht glänzte. Außerdem trug sie ein Kleid aus Rehleder, genau wie zu dem Zeitpunkt, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Trotzdem war sie nicht ganz dieselbe. Es lag nicht nur daran, dass der traurige Ausdruck verschwunden war, der vorher ihr Gesicht beherrscht hatte. Sie sah auch … älter aus.
»Danke, Jonas«, sagte sie mit einer würdevollen Gelassenheit, die sie noch reifer wirken ließ. »Danke, dass du – schon wieder – dein Leben aufs Spiel gesetzt hast, um meines zu retten.«
War dies ein guter Augenblick für ihn, um ihr zu sagen:
Andrea, ich habe 1611 pausenlos an dich gedacht. Du hättest wissen müssen, dass ich zurückkommen würde. Du hast mir so gefehlt.
Nein, es war kein guter Augenblick, denn Andrea war noch nicht fertig.
»Und vor allen Dingen: Vielen Dank, dass du meinen Großvater gerettet hast«, endete sie.
Jonas blinzelte und sah, dass ein alter Mann mit sauber getrimmtem weißen Bart ihren Arm umklammerte.
»Deinen … Großvater? Ich?«, entfuhr es Jonas. »Aber ich dachte, er sei schon tot! Ich habe ein Bild von seiner Beerdigung gesehen!«
Andrea fuhr zurück.
»Was?«, stieß sie hervor.
»Jonas, das war in der
anderen
Zeit«, warnte ihn Katherine, die neben ihm stand.
»Was sagt der junge Bursche?«, erkundigte sich Andreas Großvater. »Außerdem will ich immer noch wissen, wie er es vermocht hat, uns alle hierherzuzaubern. Ich weiß, dass Wissenschaft und Philosophie für alles eine Erklärung liefern können, aber –«
»Wir unterhalten uns später, Jonas«, sagte Andreaund
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