Die Gewandschneiderin (German Edition)
passte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und räusperte sich.
“Majestät, M´Ba wurde fortgerufen. Soll ich die Tür zum Käfig öffnen?”
“Nicht nötig, Mädchen. Ich warte auf meinen Leibwächter. Es ist schwieriger, als es aussieht. Man muss …”
Anna zog geschwind den kleinen Bolzen aus dem größeren, zerrte den großen Zapfen aus der Verriegelung und öffnete die Tür nach rechts, so weit, wie es möglich war. Dann trat sie zwei Schritte nach links, um die Öffnung freizugeben.
Kaiser Friedrich musterte sie verblüfft, legte den Kopf schief und nickte. “Du bist die Gewandschneiderin, nicht wahr?”
Sollte sie seine Worte richtig stellen? Doch der Tag hatte für genügend Verwirrung gesorgt, also nickte Anna einfach.
Der Kaiser warf den Vogel mit einem kleinen Schwu ng in die Luft. “He!”, rief er.
Der stattliche Falke flog erst wie vorgesehen auf die Stange vor dem Käfig zu, doch dann stellte er die Flügel auf und traf Anna beinahe im Gesicht. Abwehrend streckte sie die Linke weit von sich und schützte mit der Rechten den Kopf. Erst als sie das Gewicht des Vogels auf ihrer Hand spürte und sich die Krallen durch den Handschuh in ihre Haut bohrten, wurde ihr klar, was sie getan hatte. Der Vogel hatte ihren Arm als Aufforderung verstanden. Meine Güte, war der schwer, bestimmt doppelt so schwer wie der weiße Vogel vorhin! Die arme Hand, sie schmerzte heftig. Rasch stellte Anna sich vor den offenen Käfig und hob den Arm ein wenig, wie sie es bei M´Ba beobachtet hatte. Tatsächlich hüpfte der imposante Räuber erst in sein Bauer und dort auf einen der drei Äste. Schnell schob Anna die Tür zu und sicherte sie in umgekehrter Reihenfolge mit den Bolzen.
Sie wandte sich um und entdeckte ein D utzend Gesichter, darunter das von Petrus de Vinea. Die Knie wurden ihr weich, und sie tastete nach der Stange hinter sich, um sich daran abzustützen, falls sie zu Boden sinken sollte. Der Kaiser lachte und schlug die Hände gegeneinander. Langsam, einer nach dem anderen, fiel die ganze wilde, zerzauste Jagd mit ein, und schließlich klatschte sogar Petrus de Vinea, wenn er auch so aussah, als hätte er sie lieber in einen der Käfige geworfen.
Anna sah zu Boden - wie konnte sie unauffällig von hier verschwinden? Zum Glück sorgte M´Ba für Ablenkung. Er näherte sich auf dem schmalen Weg, rief laut und winkte.
“M´Ba, da dove vieni?”
Der Wächter antwortete mit Händen und Füßen, Knurrlauten und wildem Gebrüll. “Leone …evaso …”
Anna verstand kein Wort, aber sie nutzte die Gelegenheit, um sich unauffällig aus dem Blickfeld der Jäger zu schleichen und an den Käfigen entlang hinter M´Bas breiten Rücken zu huschen.
Der schien seine aufgeregte Schilderung beendet zu haben, denn der Kaiser nickte, sagte “Tutto bene?”, und als M´Ba “Sto bene” antwortete, wendete er sein Pferd, schnalzte mit der Zunge und galoppierte aus dem Stand heraus davon. Die Meute der Höflinge stürmte hinterdrein.
In der plötzlichen Stille hatte Anna das Gefühl, ertaubt zu sein. Erst als M´Ba sprach, war sie wieder sicher, hören zu können.
“Anna, danke , Anna.”
Ihre Knie waren noch immer weich wie dicke Milch, aber sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Blitzschnell fuhr sie zu M´Ba herum und machte “Raorrgh …!” Der Wächter, inzwischen wieder rabenschwarz um die Nase, sprang gespielt entsetzt zur Seite, verdrehte die Augen, hob den Speer und richtete ihn auf Anna. Er sah sie an, an ihr vorbei – und schien zur Salzsäule zu erstarren. Langsam, ganz langsam ließ er den Speer sinken. Anna stellten sich die Nackenhaare auf. Was war da hinter ihr? Und wieso ließ der feige Kerl den Speer sinken, statt sie zu beschützen? Behutsam, jede schnelle Bewegung vermeidend, drehte Anna den Kopf, bis sie erkannte, was dem Wächter solche Furcht eingejagt hatte.
Hinter ihr stand der Kaiser.
“Wo hast du gelernt, mit Falken umzugehen?”
Friedrich der Zweite nickte M`Ba zu und sagte etwas in der fremden Sprache. Der Wächter entfernte sich auf dem schmalen Weg. Der Kaiser war allein, zu Fuß, und selbst im Dämmerlicht schimmerten Haare und Bart wie Armbänder aus Kupferdraht. Er stand dicht, so dicht, dass sie den schwachen Duft wieder wahrnahm, in den sich Spuren von frischer Waldluft und Rauchschinken mischten. Anna schwindelte, ob vor Hunger oder durch die plötzliche Nähe zu dem mächtigsten Mann der Welt, hätte sie nicht sagen können.
“Ich kann gar nicht mit ihnen
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