Die Gewandschneiderin (German Edition)
entdeckten, denn wie sollte sie erklären, dass sie über dem Kaiser und seinem Berater auf der Lauer lag wie eine Spionin?
Petrus de Vinea spuckte auf den Boden. „Dieses schwüle Wetter ist kaum zu ertragen. Es ist so feucht in diesem Land – und die Hitze hasse ich auch. Hier noch mehr als zu Hause.“
„ Da gibt es Schlimmeres. Außerdem ist mir der Sommer in Deutschland lieber als der Winter. Ich hasse die Kälte.“
De Vinea lachte. „ Wie gut, dass es für jeden Geschmack etwas gibt! Was die Frauen betrifft, wärst du mir als Widersacher gar nicht recht.“
A uch Friedrich lachte, warm und voll klang seine Stimme. „Deine bevorzugten Damen kannst du gern für dich behalten. So nett Zahmeena auch sein mag ...“ Der Kaiser schüttelte sich.
De Vinea und Zahmeena? Anna presste sich noch dichter an die Ritze, um nichts zu verpassen. War de Vinea rot angelaufen , oder narrte sie der Gewitterschein, der durch die Ritzen ins Innere der Scheune drang?
„Dein Geschmack ist auch nicht besser. Was findest du bloß an der kleinen Näherin? Sie ist widerborstig, ihre Hüften sind knochig, die Brüste mäßig und die Beine so lang und dürr wie bei einem Schmalreh“, platzte de Vinea heraus. Anna hielt den Atem an. Durfte dieser Mensch so mit dem Kaiser reden? Und mit welcher Näherin war Friedrich verbandelt?
„Gewandschneiderin ! Sie ist Schneiderin, also eine Stufe höher als deine heiß geliebte Zahmeena“, spottete der Kaiser. „Und widerborstig ist sie in der Tat. Ich schätze das, es muss ja nicht jeder so fügsame Weiber bevorzugen wie du. Außerdem“ - er schnalzte mit der Zunge – „sind die Widerspenstigen besser im Bett.“
A nna atmete ganz flach, ein heißer Schreck durchfuhr sie. Diese Unterhaltung war ganz sicher nicht für sie bestimmt - besser, sie hielt sich die Ohren zu. Doch sie konnte nicht anders, sie musste lauschen. Gewandschneiderin? Er hatte eine Gewandschneiderin als … als Geliebte? Ein Blitzschlag flackerte gespenstisch durch die Scheune.
Petrus de Vinea schnaubte , und sein nächster Satz ging im Donnergrollen unter. Als es verebbte, war Friedrichs Stimme zu hören.
„Ich mag sie einfach. Sie begeistert sich für Bücher und Falken – von welcher Frau lässt sich das sagen? Und ihr blondes Haar erinnert mich an die Sonne Italiens.“
De Vineas Antwort hörte Anna nicht mehr. Blond? Sie war die einzige blonde Schneiderin weit und breit. Der nächste Blitz brachte die Erkenntnis. Friedrich hatte von ihr gesprochen.
Obwohl der Stuhl gut gepolstert war, saß Anna ganz vorn auf der Kante. Den roten Stoff ihres Kleides hatte sie über den Knien schön glatt gestrichen, damit die Farbe gut zur Geltung kam. Das Haar trug sie offen, hell und glänzend kringelte es sich auf dem teuren Stoff. Vor Aufregung war ihr die Kehle eng geworden.
Um sich abzulenken , beobachtete sie einen der beiden Wächter. Den Kopf stolz erhoben, stützte er sich regungslos auf seinen Speer und wandte keinen Blick von seiner Umgebung. Man hatte sie nicht gleich vorgelassen, der Kaiser war beschäftigt. Es waren die gleichen Wächter, die immer vor der Tür standen, wenn sie zu ihm gerufen wurde, sie bildeten offenbar seine Leibgarde. Anna hätte gar zu gern einmal einen der hellgrünen Kopfschleier berührt, nur um zu fühlen, wie sich der Stoff anfasste, doch das war sicher strengstens verboten. Endlich ertönte die kleine Glocke, und die Wächter rissen die Türflügel auf.
Friedrichs donnernde Stimme drang auf den Flur heraus. „Ist es denn so schwierig, ein paar Fürsten bei der Stange zu halten? Ich habe weiß Gott genug mit Innozenz zu tun, der treibt mich zum Wahnsinn mit seiner Besessenheit für nutzlose Kreuzzüge.“
Ein Mann verließ das Gemach, seiner Miene nach zu urteilen, fand er die Forderung des Kaisers durchaus schwierig.
Friedrich stand auf der Schwelle. Als er Anna sah, stieß er einen Seufzer aus. „Schick mir Leonardo!“, befahl er dem Besucher. „Er soll ausrechnen, was es mich die Gründung eines neuen Fürstentumes kostet, ohne dass mir der Rest der Meute an die Gurgel springt.“
Der Unbekannte fragte etwas, das Anna nicht verstand, und Friedrich brauste gleich wieder auf. „Tu einfach, was ich dir gesagt habe! Du kannst gehen.“
Der Kaiser seufzte abermals, fuhr sich durchs Haar und nickte Anna zu. „Das Gewand ist fertig? Dann komm!“
Kein Zweifel, er war verärgert. Anna schluckte. Und ausgerechnet jetzt wurde es ernst - der Kaiser musste das Gewand
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