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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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Schultern hängen. Die Näharbeiten! Die hatte sie über Wiffis Treppensturz gänzlich vergessen. Spierl hatte sie zwar nicht im unteren Stock erwischt, aber sie hatte fast nichts fertigbekommen - er würde sie so oder so hinauswerfen. Tränen schossen ihr in die Augen.
    "Wiffi ist die Treppe hinunter gestürzt, sie liegt in der Küche", würgte Anna hervor.
    Sie wollte nur noch in ihre Kammer, zu den Stoffresten. So lange, bis er … Sie hatte sich hier so wohlgefühlt, sie wollte nicht weg. Warum mischte sie sich immer ein? Hätte sie nicht unten geputzt, wäre ihre Arbeit inzwischen fertig, und er würde mit Wiffi schimpfen.
    Die Stille blieb seltsam. Anna hob die Augen und blickte in Meister Spierls Gesicht. Alles Finstere war daraus verschwunden, wie ein bettelndes Kind starrte er sie an, als warte er auf etwas.
    "Was …?", fragte Anna und hob die Schultern.
    "Ist sie ...? Ich meine, hat sie sich den Hals gebrochen?"
    Endlich begriff Anna.
    "O nein, mein Gott, nein! Es geht ihr recht gut. Nur der Fuß und die Nase haben etwas abbekommen."
    Meister Spierl ließ den Packen fallen und keuchte auf. Dann ging er in die Knie und schluchzte laut. Die dürren Schultern zuckten - er hatte Angst um Wiffi gehabt. Konnte er sie noch hinauswerfen, wenn er wusste, dass sie Wiffi gerettet hatte? Anna trat von einem Fuß auf den anderen. Es fiel ihr schwer, aber sie musste es aussprechen. Sie wollte nicht weg.
    "Meister Spierl, ich habe Wiffi gefunden und gerettet. Hätte ich ihr nicht geholfen, wäre es schlimm ausgegangen."
    Das Schluchzen ebbte ab , und der alte Mann erhob sich schwerfällig. "Danke."
    "Noch etwas." Anna holte tief Luft. "Ich musste mich um Eure Magd kümmern … und da ist die Näharbeit nicht fertig geworden." Es war heraus. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen.
    "Das ist doch nicht so wichtig. Dann erledigst du die Arbeit eben morgen."
    Anna wäre am liebsten zu Boden gesunken, so heftig zitterten ihr vor Erleichterung die Knie.
    "Darf man … kann ich zu ihr?" Meister Spierl war wirklich nicht ganz bei sich. Er hatte nicht einmal die Rute in die Hand genommen.
    "Ja, ja, natürlich."
    Trotz ihrer langen Beine hatte Anna Mühe, dem Alten zu folgen, so hastig stürmte er die Flure entlang. Dann stand er sprachlos vor seiner Magd. Anna wartete einen Augenblick, bis sie die Stille durchbrach.
    "Es hat laut gerumpelt. Da habe ich nach ihr gesehen. Sie lag am Fuß der Treppe." Sie stockte kurz. "Ich musste d ort hinunter, es gab keine andere Möglichkeit."
    Anna hätte nicht sagen können, ob der Meister ihre Worte wahrgenommen hatte, aber als sie verstummte, stürzte er los, auf Wiffi zu und riss sie ungestüm an sich. Erschrocken schrie die Alte auf.
    Anna hütete sich zu lachen. Nachdem die beiden sich immer in den Haaren lagen, versetzte sie der Anblick der innigen Umarmung in höchste Verblüffung. Schritt um Schritt tappte sie rückwärts aus der Küche hinaus und schloss leise die Tür.
    In ihrer Kammer angekommen, drohte es sie schier zu zerreißen. Spierl wusste, dass die Arbeit nicht fertig war. Er wusste, dass sie im Erdgeschoss gewesen war. Und er hatte sie nicht hinausgeworfen. Anna musste sich einen Stoffrest vor den Mund pressen, damit niemand hörte, wie sie ihr Glück hinausschrie: Sie durfte bleiben.
     
    Das Essen schmeckte scheußlich, und der Gestank war schlimmer denn je. Meister Spierl hatte es zubereitet, denn Wiffi konnte nicht stehen. Sie hatten versucht, die Alte so zum Feuer zu schieben, dass sie im Sitzen kochen konnte, aber sie war zu dick. Sobald sie sich vorbeugte, drohte ihre Kleidung Feuer zu fangen.
    Anna würgte eine halb gare Rübe hinunter, und ein Blick in die Gesichter der Tischgenossen zeigte ihr, dass die genauso litten. Dieser Zustand musste ein Ende haben!
    "Meister, k ann ich nach dem Nachtmahl mit Euch sprechen?"
    "Hmpf" , nuschelte Spierl, während er auf etwas Hartem herumbiss.
    Anna deutete die Antwort als Zustimmung.
     
    Sie hatte die Stube des Meisters zuvor noch nie betreten. Alles war blitzblank, ebenso wie sein Tisch in der Nähstube. Das konnte nur heißen, dass Wiffi hier keinen Zutritt hatte, denn wo immer sie sich aufhielt, herrschte Chaos. Der Meister saß an seinem Schreibpult.
    "Was gibt’s? Hat Dietrich sich wieder schlecht benommen?"
    "Nein. Ja. Also , das wollte ich nicht mit Euch besprechen. Aber ich war unten ..."
    Meister Spierl setzte sich aufrecht hin und legte den Kopf schief wie ein Habicht vor dem Greifflug.
    "Und ...?", fragte

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