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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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solchen Mengen! Das reichte für Jahre. Anna kramte und schichtete um, räumte Körbe und Schalen, Krüge und Töpfe aus den Regalen, wischte alles gründlich aus und streute Kräuter, um Schädlinge abzuhalten. Sogar frische Sommeräpfel gab es hier schon, die waren sicher teuer gewesen. Wie die dufteten! Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sollte sie einen essen? Das würde sicher keiner merken. Anna nahm einen kleinen Apfel, sog noch einmal den herrlichen Duft ein und führte die Frucht zum Mund.
    „Anna ! Anna!“
    Sie zuckte zusammen und legte den Apfel zurück in den Korb. Wiffis Stimme war nicht zu überh ören - sie ersetzte die eingebüßte Flinkheit durch lautes Kreischen. Schnell hinauf! Wiffis Laune war seit dem Sturz nicht die beste. Hastig erklomm Anna die Treppe, doch zu ihrer Überraschung wirkte die alte Magd nicht ungeduldig, sondern hochzufrieden. Fast schon fröhlich, falls sich der verschmitzte Ausdruck in dem Faltengewirr ihres Gesichtes so nennen ließ.
    „Du sollst zum Meister kommen. Er wartet in deiner Kammer.“
    „Wieso ...“
    „Herrje, geh einfach, störrisches Weibsbild!“ , rief Wiffi.
    Anna zog den Kopf zwischen die Schultern und eilte zu ihrer Kammer. Meister Spierl stand neben der Tür, auch er mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Die Hand mit der Rute klatschte einen hübschen Takt gegen die Tür.
    „Anna , schau in deine Kammer!“
    Waren alle verrückt geworden? Kopfschüttelnd öffnete sie die Tür. Auf ihrem Lager lag ein Bündel. Eigentlich eher ein Stapel. Ein Stoffstapel. Noch mehr Arbeit? Und wozu das Getue? Sie sah genauer hin und war überrascht. Roter Stoff.
    Meister Spierl räusperte sich. „War nicht leicht zu bekommen, der Stoff. Baumwolle heißt er und lässt sich gut färben. Deshalb das feine Rot. Mit Krapp gefärbt. Nicht so teuer wie der aus Seeland. Einer der Färber am Rhein hat ein Verfahren entwickelt ...“
    Auch Wiffi war inzwischen herbeigehumpelt und hörte zu. Seit wann kümmerte die sich um Stoffe? Anna musterte den Meister und klopfte mit der Fußspitze auf die Dielen. Wollte er ihr einen Vortrag über teure Farben halten? Das konnte er auch im Nähzimmer tun, dort war es wärmer.
    „Kann ich jetzt wieder an die Arbeit?“ , fragte sie gereizt.
    Meister Spierl wirkte bestürzt.
    „Willst du den Stoff nicht näher ansehen?“ Er klatschte die Weidenrute gegen die Wand. „Ich habe zwei Tage lang danach gesucht.“
    Als er so dastand wie ein enttäuschtes großes Kind, tat er ihr leid, und sie vergaß ihren Groll. Sie hob den Stoffballen hoch und erfreute sich an der Farbe. Auch der Griff war fest, ein wenig steif und kühl. Bestimmt angenehm im Sommer.
    „Doch, sicher. Ein schöner Stoff. Für wen ist er bestimmt? Und was soll daraus geschneidert werden?“
    Da lachte Spierl lauthals und klopfte sich mit der Rute auf die Schenkel.
    „Sie ahnt es nicht, Wiffi, sie ahnt es nicht! Damit hat sie nicht gerechnet.“
    Als Wiffi lächelte, wirkte ihr faltiges Gesicht wie ein angebissener Lagerapfel. Allmählich wurde Anna böse. Dass sie ausgenutzt wurde, konnte sie noch hinnehmen, aber sie musste sich nicht zum Narren halten lassen.
    „Der Stoff ist für dich, dummes Ding“ , krähte Wiffi. Die beiden brachen erneut in Gelächter aus.
    „Für dich, ein Geschenk. Weil du Wiffi gerettet hast. Danke.“ Sp ierl war wieder ernst geworden.
    Wortlos presste Anna den Ballen an die Brust und strahlte über das ganze Gesicht. Meister Spierl schien das zu reichen.
    „Komm, Wiffi, ich habe Hunger. Hoffentlich hat Anna gekocht, dann schmeckt es wenigstens.“
    „Was fällt dir ein, ich koche mindestens genauso ...“
    Das Ende des Satzes hörte Anna nicht mehr. Sie saß mit dem Stoff auf ihrem Lager und hatte noch immer beide Arme fest um den dicken Ballen geschlungen. Es mussten an die zwanzig Ellen sein. Vielleicht reichte das Tuch für ein Kleid und einen Beutel. Ein rotes Kleid. Sie liebte diese Farbe.
    „ Warten wir ab, wie lange du noch lachst.“ Dietrich stand auf der Schwelle. Was hatte er mitbekommen? Sie antwortete nicht. Sollte er sich zum Teufel scheren.
    „Wenn du nicht allmählich ein bisschen netter zu mir bist, wirst du’s noch bitter bereuen.“
    „Verschwinde, oder ich ruf den Meister“ , drohte Anna.
    „Hure. Er hätte dir einen gelben Lumpen schenken sollen, das hätte besser zu dir gepasst.“
    Anna ließ den Stoff aufs Lager gleiten, fuhr hoch und sprang auf Dietrich zu. Er wich zurück. Doch statt ihm die Haut zu

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