Die Gewürzhändlerin
Heimlich?»
Anton hob den Kopf wieder. «Nicht heimlich, Herr. Frau Elisabeth weiß Bescheid. Aber ich soll eigentlich nicht darüber reden. Wozu soll ein einfacher … ein Knecht auch lesen können?»
«Hm, ja.» Nachdenklich runzelte Martin die Stirn.
«Ich hab sogar in dem Buch gelesen, dass Luzia sich damals in Ahrweiler gekauft hat.»
«Sie besitzt ein Buch?» Martin fuhr sich durch die Haare. Die Überraschungen schienen heute nicht aufhören zu wollen.
«Zwei sogar, Herr. Beide über Mathematik. Das eine verstehe ich nicht; da schreiben Männer über Geo… Geo-irgendwas.»
«Geometrie?» Martin blieb stehen. «Willst du mir etwa erzählen, deine Schwester besitzt eine Abschrift der
Geometria
von Bradwardine?»
«Ja, ich glaube, so heißt einer der Männer. Aber ich sag ja, das verstehe ich alles nicht. Das andere Buch ist nicht so schwer. Es hat einen lateinischen Namen, den kann ich mir nie merken.
Liber
… soundso.»
«
Liber Abbaci
?»
Anton nickte heftig. «Ja, so heißt es. Das ist einfacher.»
«Du verstehst die Rechenoperationen im
Liber Abbaci
?»
«Nicht alle. Na ja, ich hab es aber auch nicht so oft gelesen wie Luzia. Ich glaube, sie kann es inzwischen auswendig hersagen. Seit sie das Buch hat, feilscht sie auf dem Markt wie ein Fischweib, Herr.» Anton grinste. «So schnell, wie sie den Händlern was vorrechnet, kommen die meistens gar nicht mit. Und am Ende hat sie sie fast immer um die Hälfte heruntergehandelt. Deshalb nimmt Frau Elisabeth sie so gerne zum Einkaufen mit.»
«Luzia?»
Wieder nickte Anton. «Der macht so leicht keiner was vor, Herr. Für eine Frau ist sie wirklich sehr klug.»
Martin räusperte sich und setzte sich wieder in Bewegung. «Wenn sie tatsächlich das
Liber Abbaci
studiert hat, dürfte sie klüger sein als die meisten Kaufmänner diesseits der Alpen, mich eingeschlossen.»
Anton, der neben ihm stehen geblieben war, blickte ihm verblüfft nach und beeilte sich dann, zu ihm aufzuschließen. Die Räder des Karrens polterten über den steinigen Boden. «Herr? Was meint Ihr damit?»
«Das, was ich gesagt habe.» Martin blieb erneut stehen, als sie den Rand des Kornmarktes erreicht hatten. «Hör zu, Anton! Bring den Karren in meinen Hof und gib einem meiner Knechte oder meinem Bruder Bescheid, dass ich wieder auf dem Florinshof bin. Wenn keiner von ihnen zurück ist, geh zu einer der Mägde.»
«Wir müssen zurück nach Hause», warf Anton zögernd ein.
Martin nickte. «Komm rasch nach, dann kannst du deine Schwester nach Hause begleiten.» Damit wandte er sich ab und ließ den Jungen mit dem Karren auf dem Kornmarkt zurück.
* * *
In Luzia brodelte es. Die zwei Stunden, von denen Martin gesprochen hatte, waren längst vorüber, aber von dem Kaufmann oder Anton war weit und breit nichts zu sehen. Allmählich begannen ihr tatsächlich die Beine wehzutun. Sie war es nicht gewohnt, so lange auf einer Stelle zu stehen.
Während Alban ihr ausführlich die ausgestellten Gewürze erklärt hatte, war eine kleine rundliche Magd am Stand aufgetaucht und hatte Luzia eine Wachstafel überreicht, auf der die Namen der Spezereien sowie deren Preise nach Menge oder Gewicht verzeichnet waren. In dem Kasten, der die Geldkassette enthielt, hatte sie denn auch eine Waage entdeckt sowie einen ganzen Beutel voller unterschiedlicher Gewichte. Auch hier hatte Alban ihr weiterhelfen können, indem er ihr die verschiedenen Gewichte erklärte. Luzia fragte sich, warum Martin nicht einfach den Knecht mit dem Verkauf der Waren beauftragt hatte. Alban schien sich sehr gut auszukennen. Zu fragen traute sie sich allerdings nicht; Martin hatte gewiss einen guten Grund gehabt, Alban lediglich als ihren Helfer zurückzulassen. Noch immer kam es ihr unwirklich vor, dass sie hier auf dem Florinshof hinter einem der Verkaufsschragen stand, anstatt selbst über den Markt zu spazieren, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte. Was hatte Martin Wied sich dabei gedacht, ausgerechnet sie zu bitten, ihm zu helfen? War er tatsächlich in einer verzweifelten Lage? Seinen Worten und seinem Verhalten nach hatte sie zwar den Eindruck gewonnen, dass er unter Druck stand, nicht jedoch, dass er mutlos oder verzagt war.
Während der vergangenen Stunde hatte Luzia immer öfter neugierige Blicke auf sich gespürt. Offenbar begannen sich die Koblenzer zu fragen, wer die Fremde an Wieds Gewürzstand war. Alban hatte ihr erzählt, dass dieser Standplatz der Familie Wied seit vielen Jahren angestammt war.
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