Die Gildal Saga (Die Gildal Saga (Sammelband)) (German Edition)
nein, sie war davon überzeugt, es wäre auf ihre Initiative hin, zu diesem denkwürdigen Kuss gekommen. Obwohl...
Sollte das vielleicht nur ein raffiniertes Ablenkungsmanöver gewesen sein? Wenn er sich die schlafende Maid so ansah, kurzhaarig, in den Kleidern eines Jungen, traute er ihr so etwas durchaus zu. Sie war gewieft genug, um auf diese Weise seiner Schelte zu entgehen.
Aber was sie konnte, das konnte er schon lange. Wenn sie ihn damit verwirren wollte, dass sie ihm weibliches Interesse für ihn als Mann vorspielte, würde er den Spieß einfach umdrehen. Mal sehen, wie weit sie gehen würde.
Natürlich war es nicht gerade eine Strafe, mit einem Mädchen zu tändeln, aber er sollte sich auch nicht zu sehr darauf freuen. Und natürlich würde er auch nie zugeben, dass eine Wiederholung dieses Kusses ihn dazu trieb, das Mädchen zu testen.
Als Fiona am Morgen zitternd erwachte, war das Erste, was sie sah, der Ritter, der unter ihrem Baum am Stamm lehnte und die Augen geschlossen hatte. Schlief er? Es sah so aus, obwohl ihr seine Stellung ein wenig seltsam vorkam. Wer schlief schon im Sitzen und hatte dazu noch die Arme vor der Brust verschränkt?
Sie jedenfalls musste sich erst einmal ein wenig bewegen, damit ihr ein bisschen warm wurde. Und außerdem musste sie auch einem dringenden Bedürfnis nachgehen.
„Wo willst du hin?“, stoppte Fiona seine Frage, als sie durch das Nadeldach schlüpfen wollte, um dem Ruf der Natur zu folgen.
Ein schneller Blick in das Gesicht des Ritters zeigte, dass er noch genauso dasaß, wie noch Augenblicke zuvor. Auch seine Augen waren immer noch geschlossen. Woher konnte er dann wissen, dass sie den Schutz des Baumes verlassen wollte? Es kam definitiv nicht in Frage, ihm zu sagen, wo sie hin wollte!
„Ich gehe mir die Beine vertreten.“
„Nein!“
„Aber...“
„Ich habe nein gesagt. Wenn du irgendwo hingehen willst, werde ich dich begleiten. Aber jetzt brauche ich noch ein wenig Schlaf, also bleibst du da!“
Dass er sie bei diesen Worten nicht einmal ansah, sondern seine Augen geschlossen blieben, ließ Fiona mit den Zähnen knirschen.
„Ich werde dennoch kurz hier weg müssen“, erklärte Fiona genervt.
„Nein!“
„Ich muss mal, Ihr Idiot!“
Dieser deutliche Hinweis wäre nicht nötig gewesen, wenn Luther sich die Mühe gemacht hätte, ihr einmal ins Gesicht zu sehen, das mittlerweile flammend rot war.
Aber Luther tat es nicht leid, sie in Verlegenheit gebracht zu haben. Er hatte noch ganz andere Ideen, wie er sie dazu bringen konnte, ihm nicht mehr ins Handwerk zu pfuschen. Auch wenn seine Methoden davon profitierten, dass sie eine junge Lady war und er ein Mann.
Er wartete auch nicht einmal darauf, dass sie von ihrem kleinen Ausflug zurückkam. Er ging ihr langsam nach, um deutlich zu machen, dass er vorhatte, sie von jetzt an genauestens zu überwachen.
Luther zu sehen, wie er sie sogar bei ihrer intimsten Tätigkeit verfolgte, brachte Fiona dazu, ihn böse anzusehen. Aber diese Art der Überwachung schien nicht alles zu sein, was ihm einfiel, um sie zu kontrollieren. Er wollte es ja nicht einmal zulassen, dass sie den Rückweg alleine antrat. Nein, er packte sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her, Fiona war sich sicher, wenn sie sich nicht schnell genug bewegte, würde er sie glatt über den kalten schneebedeckten Waldboden schleifen.
Es war nicht schwer zu erraten, dass er sich ein kleines bisschen an ihr rächen wollte. Der Kuss, vermutete Fiona, war dafür verantwortlich. Er wollte sie dafür bezahlen lassen, dass sie ihm einen Kuss aufgezwungen hatte. So viel zu ihrer Entschuldigung.
Dass sie mit ihrer Einschätzung der Situation richtig lag, bestätigten Luthers Worte, während er sie zurück zum Baum zog.
„Ich denke, der Gerechtigkeit wegen, habe ich bei dir etwas gut, Mädchen“, teilte er ihr völlig ernst mit.
Fiona sah ihn böse an. „Ihr hattet eine Entschuldigung gut, und die habt Ihr bekommen“, erinnerte sie ihn.
„Was, wenn eine Entschuldigung nicht reicht? Du weißt doch, Auge um Auge, Zahn um Zahn. “
Das war ja wohl die Höhe! Er wollte ihr ihren kleinen Ausrutscher mit gleicher Münze heimzahlen? Er wollte sie, der Rache oder der Gerechtigkeit wegen, küssen? Das war... nichts, wogegen sie etwas gehabt hätte. Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. Er sah nicht so aus, als wollte er in dieser Hinsicht etwas unternehmen.
„Und wann gedenkt Ihr, Gerechtigkeit zu fordern?“, fragte sie und versuchte nicht
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