Die Gildal Saga (Die Gildal Saga (Sammelband)) (German Edition)
Caleb mit offenem Mund an. Liebe Güte! Sie war eine Furie! Niemand hatte sie bisher so zur Weißglut gebracht, dass sie ihn ernsthaft verletzt hätte. Eigentlich hatte sie sich noch nie auf diese Weise gegen eine Ungerechtigkeit gewehrt. Und auch Calebs Verbrechen konnte man nicht als so schlimm ansehen, dass es solche Verletzungen rechtfertigte.
Nein, ganz bestimmt nicht! Sie hatte sich doch nur erschrocken, als sie den schweren Arm auf ihrem Bauch gefühlt hatte. Wirklich nur erschrocken! Sie hatte sich weder gefürchtet noch Ekel empfunden. Und ein kleiner Schreck am Morgen rechtfertigte ihr Vorgehen keineswegs. Es rechtfertigte vor allem nicht dieses fast komplett zugeschwollene Auge!
„Liebe Güte!“, flüsterte Gillian betroffen und wiederholte diese Worte gleich noch ein paar Mal, bevor sie vor Scham ihr Gesicht in den Händen vergrub. „Das wollte ich nicht“, kam es undeutlich aus ihrem Mund. „Wirklich, das müsst Ihr mir glauben, Caleb, ich wollte Euch nicht verletzen!“
Diese Reaktion erschien Caleb ein bisschen zu extrem. Was hatte sie schon Großartiges getan? Ihn mit einer weichen Rehlederdecke attackiert. Kein Gegenstand, mit dem er jemals zuvor angegriffen worden wäre. Da hätte selbst ein Holzschwert mehr Schaden angerichtet. Warum regte sich das Mädchen also so auf?
„Halb so wild“, winkte er deshalb ab und grinste dann sogar, als er sie mit seinen nächsten Worten aufzog. „Ihr habt nicht mehr Kraft als ein Mädchen!“
War Caleb noch ganz bei Trost oder litt er vielleicht an einer Gehirnerschütterung? Wie konnte er diese massiven Verletzungen nur so abtun? Sicherlich hatte er höllische Schmerzen! Dass er das vor ihr nicht zugeben wollte, machte die Sache nicht besser. Schuldgefühle trieben Tränen in Gillians Augen, und die tropften auch bald durch ihre Finger, hinter denen sie ihr Gesicht verbarg.
Mit weinenden Frauen hatte Caleb nun so gar keine Erfahrung. War sie beleidigt, weil er sie verspottet hatte? Aber das war doch gar nicht so gemeint. Schließlich hatte er nicht wirklich etwas Falsches gesagt, denn sie war nun einmal ein Mädchen. Und darum war es auch unwahrscheinlich, dass ihre schwachen Schläge bei ihm einen Schaden hinterlassen würden. Aber wie brachte er die Sache jetzt wieder in Ordnung?
Der beste Weg, ein weibliches Wesen milde zu stimmen, führte über Geschenke. Das war unter Männern ein weit verbreiteter Irrtum. Und auch Caleb hatte vor, sich dieser Methode zu bedienen. Zum Glück hatte er für diesen Zweck eine Kleinigkeit mitgebracht. Nun gut, nicht gerade für diesen Zweck, aber zumindest dafür, dass sich das Mädchen hier nicht zu Tode langweilte und auch noch etwas Praktisches davon hatte.
„Ich habe Euch etwas mitgebracht“, erklärte Caleb, um Gillian ein bisschen aufzumuntern. Und wie es schien, hatte diese Taktik auch Erfolg. Jedenfalls nahm Gillian die Hände vom Gesicht und sah ihn überrascht an.
„Ich glaube, ich habe es in der Satteltasche gelassen, aber ich kann es gleich holen, wenn Ihr wollt.“
„Ihr wollt mir etwas schenken?“ Gillian konnte Calebs Worte nicht fassen. „Aber...“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Aber Euer Gesicht!“
„Was soll damit sein?“ Caleb hatte keine Ahnung, was das Mädchen ihm mitteilen wollte.
„Ich habe Euch verletzt, und Ihr wollt mir etwas schenken?“
Gillians Verwirrung wirkte auf Caleb sehr erheiternd. Er lachte sogar. „Ihr habt mich nicht verletzt!“, widersprach er. „Wie kommt Ihr darauf, Euer kleiner Wutausbruch könnte einem gestandenen Ritter etwas anhaben?“
Die Frage schien berechtigt, denn schließlich hatte er sich selbst ja noch nicht gesehen und das, was sie mit ihm angestellt hatte.
„Euer blaues Auge hat mich auf die Idee gebracht, und der Bluterguss auf Eurer Wange hat auch irgendwie dazu beigetragen. Ihr könnt ja Euer linkes Auge schon gar nicht mehr richtig öffnen“, jammerte Gillian.
Caleb hatte das blaue Auge schon vollkommen vergessen. Aber als er jetzt danach tastete, konnte er spüren, wie empfindlich er schon auf den leichtesten Druck reagierte.
„Oh, das …“, er schien verlegen zu sein. „Bin gestern in eine Wirtshausschlägerei geraten“, log er. „Komische Sache, so eine Schlägerei in einem Wirtshaus. Wenn einer anfängt, prügeln sich plötzlich alle und das ohne ersichtlichen Grund.“
Stimmte das? Gillian war sich nicht sicher. Schließlich konnte man einer Lady nicht unterstellen, sie hätte einen Ritter verprügelt.
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