Die Gildal Saga (Die Gildal Saga (Sammelband)) (German Edition)
verschaffte ihm mehr Bewegungsfreiheit, wenn er versuchte, sich zur Wehr zu setzen.
Langsam, um die Person hinter sich nicht in Alarmbereitschaft zu versetzen, löste er die Kordel an seiner Brust und ließ das Kleidungsstück zu Boden gleiten. Fast sofort spürte er, den spitzen Gegenstand sich wieder in seinen Rücken bohren. Jetzt jedoch an einer wesentlich tieferen Stelle, als noch kurz zuvor. So konnte sein Angreifer keinen ersten tödlichen Stich ausführen. Wahrscheinlich würde das Messer sogar an seinem Hüftknochen abrutschen, wenn er sich nur ein klein wenig zur Seite drehte, ehe man ihn angriff.
Anfänger! Einen Gegner erledigte man sofort, im ersten Überraschungsmoment. Wenn man ihm Zeit gab, die Situation zu analysieren, war der schönste Vorteil beim Teufel!
Luther war genervt. Lief den heute gar nichts so, wie es sich gehörte? Er riskierte einen kurzen Blick über die Schulter und war entsetzt. Wie dumm war dieser Junge überhaupt, der ihn da bedrohte? Er versuchte doch tatsächlich mit nur einer Hand den Umhang vom Boden aufzuheben, während seine andere Hand das Messer an Luthers Rücken hielt. Und seine ganze Aufmerksamkeit galt nur dem Kleidungsstück.
Für Luther wäre es jetzt ein Leichtes gewesen, diesen Tölpel zu überwältigen. Aber er war gespannt, was der Junge mit dem erbeuteten Umhang vorhatte. Je mehr sich Luthers Angreifer auf das Stück Stoff konzentrierte, umso mehr ließ der Druck des Messers in Luthers Rücken nach. Das ging so weit, dass es in dem Moment den Kontakt mit dem Gegner verlor, als sich der Junge endlich in den Umhang hüllte.
In diesem Augenblick sah Luther keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Mit einer fließenden Bewegung und einem gezielten Schlag auf den Arm des Jungen, brachte er diesen dazu, sein Messer fallen zu lassen.
Luthers Hand, die nun den Arm des Jungen auf dessen Rücken drehte, registrierte schnell, dass sein junger Angreifer eiskalt war. Aber nicht im Sinne von skrupellos, sondern einfach nur eiskalt, so wie durchgefroren. Der Junge zitterte vor Kälte und versuchte nicht einmal, sich aus Luthers Griff zu befreien. Denn jetzt befand sich der schmächtige Kerl genau da, wo es ein bisschen Wärme gab; an Luthers Körper!
Luther wirbelte seinen Gefangenen herum, so dass er ihm ins Gesicht sehen konnte, aber los ließ er den Burschen dabei nicht. Genauso wenig, wie sein Angreifer bereit war, den erbeuteten Umhang wieder herzugeben. Der wachsame Blick und das junge zarte Gesicht, rührten etwas in Luther an.
„Mein Gott, wie tief ist die Menschheit schon gesunken, wenn halbe Kinder gestandene Ritter überfallen müssen?“
Luther gab den Arm des Jungen frei und bückte sich nach dessen Messer. Aber diese kleine Unaufmerksamkeit versuchte der vormalige Angreifer sofort zu nutzen. Er wollte die Flucht ergreifen, nur Luther war schneller.
„Nichts überstürzen, mein junger Freund!“, fand Luther die Situation mittlerweile ganz unterhaltsam. Er griff nach einem Zipfel seines Umhangs, der noch immer über den Schultern des Jungen lag, und brachte diesen dadurch zum Stehen. Denn das wärmende Kleidungsstück wollte der schmächtige Kerl nicht wieder hergeben.
„Nun, für was entscheidest du dich, Junge? Ein Feuer und ein bisschen mehr Stoff um diese dünne Gestalt, die du deinen Körper nennst, oder den kalten dunklen Wald?“
Hatte man da eine Entscheidungsmöglichkeit, wenn man das Gefühl hatte, bis zu den Knochen durchgefroren zu sein? Das Feuer war jedenfalls wesentlich anziehender, als der kalte finstere Wald, der außerhalb des Lichtkegels des Feuers lag.
Dennoch konnte Luther in den Augen des Jungen Zweifel sehen. Wollte er das, was ihm geboten wurde annehmen? Besser wäre es für ihn, wenn man sich die vor Kälte blauen Lippen ansah. Er wehrte sich auch nicht wirklich gegen Luthers kräftige Arme und kam die wenigen Zentimeter zurück, näher ans Feuer, nicht zu Luther.
„Ich sehe schon, wo deine Prioritäten liegen“, schmunzelte der Ritter. Und dann, als der Junge sich ganz nahe an das Feuer setzte, ließ er auch den Stoff des Umhangs los.
„Du solltest dir das nächste Mal besser überlegen, wen du beklauen willst, Junge. Nicht jeder Reisende ist ein leichtes Opfer.“
Luther erhielt keine Antwort, aber eine Augenbraue des Jungen zog sich spöttisch nach oben. So eine kleine Kröte! Das Bürschlein sah ihn an, als ob er die Auseinandersetzung gewonnen hätte. Bitte! Wenn er dachte, er hätte die Oberhand, dann würde er
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