Die Gilde von Shandar: Die Spionin
Welt noch schläfrig war und nur widerstrebend erwachte.
Femke glitt vom Sofa, strich sich die schlimmsten Falten in der Tunika glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen Haare. Gott sei gedankt für kurze Männerhaarschnitte, dachte sie und warf ihrem Spiegelbild im Vorbeigehen ein kurzes Grinsen zu, als sie schnell ihr Aussehen überprüfte.
Wieder klopfte es – diesmal ein wenig lauter und eindringlicher. Femke ging zur Tür und löste die Glocke von der Schnur, die sie über die obere Kante gespannt hatte. Dann setzte sie ihr gelassenes Dienstbotengesicht auf, öffnete die Tür einen Spalt und sah zwei königliche Gardisten, von denen einer gerade die Faust hob, um erneut zu klopfen.
»Guten Morgen, meine Herren, was kann ich für Euch tun?«, fragte Femke höflich und nickte dem Soldaten zu, der ihr am nächsten stand.
»Ist Seine Lordschaft schon wach?«, erkundigte sich der Soldat leise.
»Noch nicht, mein Herr. Es ist noch früh und Lord Danar hatte gestern einen anstrengenden Tag.«
»Gewiss, aber der König erwartet ihn sofort«, sagte der Gardist ernsthaft. »Bitte richte Seiner Lordschaft aus, er möge augenblicklich kommen.«
»Natürlich, mein Herr. Würdet Ihr wohl einen Augenblick hier draußen warten, bis Mylord Danar angezogen ist? Ich bin sicher, es dauert nicht lange«, sagte Femke ruhig. Sie wollte nicht riskieren, dass die Wachen die Sicherheitsmaßnahmen entdeckten, die sie in den Zimmern angebracht hatte. Lord Danar würde sich nur unbeliebt machen, wenn man dachte, dass der shandesische Lord der Sicherheit des Palastes nicht traute.
»Ganz und gar nicht, aber beeilt euch. Der König wartet nicht gerne.«
Femke nickte und schloss die Tür. Ihre Neugier war angestachelt. Was war wichtig genug, dass der König so früh aufstand und verlangte, Danar zu sehen? Hatten sie Shalidars Beruf selbst herausgefunden? Hatte es einen weiteren Mord gegeben? Was war, wenn Shalidar jetzt auch Danar einen Mord anhängen wollte? Schnell schloss sie diese Möglichkeit aus. Das Muster wäre zu offensichtlich; Shalidar ging subtiler vor. Es war schon unwahrscheinlich, dass ein Botschafter ein Schwerverbrechen beging, zwei , das war ganz und gar unglaubwürdig. Außerdem war der König kein Narr. Ein derart offensichtliches Spiel würde er durchschauen und so leicht würde es Shalidar ihnen nicht machen.
Es musste sich um etwas anderes handeln. Femke hoffte, dass es etwas Gutes war. Bis jetzt war sie in Mantor nur von schlechten Nachrichten verfolgt worden. Es musste doch langsam an der Zeit sein, dass sich ihr Schicksal wendete.
Sie ging durch den Wohnbereich, riss die Tür zu Danars Schlafzimmer auf und marschierte zu seinem Bett. Sie fasste ihn an der Schulter und schüttelte ihn kräftig, bevor sie mit großer Geste die Vorhänge zurückzog.
»Komm, Schlafmütze, aufstehen! Der König will mit dir sprechen und er will nicht den ganzen Tag warten«, sagte sie laut und grinste, weil Danar stöhnte und sich die Hände zum Schutz vor dem hellen Tageslicht vor die Augen hielt.
»Was will er denn?«, fragte er heftig gähnend. »Kann das nicht warten?«
»Nein, kann es nicht. Wenn der König sagt ›spring!‹, dann fragst du nicht ›warum?‹, sondern ›wie hoch?‹ Und jetzt raus aus dem Bett und bring dich in repräsentablen Zustand. Du hast zwei Minuten, bevor ich der königlichen Garde da draußen sage, dass sie kommen und dich holen können, egal wie du aussiehst.«
»Das wagst du nicht!«, lachte Danar und machte keine Anstalten, aus dem Bett zu steigen.
»Versuch’s nur!«, drohte Femke hochmütig und stolzierte aus dem Zimmer. »Die Zeit läuft, Mylord. Trödelt nicht!«, rief sie über die Schulter zurück, sowohl an ihn als auch an die beiden Wachen gerichtet, die sicherlich an der Tür lauschten.
Lord Danar glaubte zwar nicht, dass Femke ihre Drohung wahrmachen würde, aber er zweifelte gerade genug, um sich zu beeilen. Die königliche Garde sollte nicht sehen, dass er nicht sein Bestes tat, um den Wünschen des Königs Folge zu leisten. Er war hier in der Verkleidung eines Botschafters, also würde er sich auch wie ein Botschafter verhalten.
Danar wählte ein Seidenhemd aus dem Schrank und zog es in einer flüssigen Bewegung über den Kopf. Einen kurzen Moment lang genoss er das luxuriöse Gefühl der Seide auf seiner Haut, bevor er Unterwäsche und saubere Hosen hervorholte und sich dann die Stiefel anzog. Schnell rannte er ins Bad, wo er mit dem raffinierten Pumpsystem
Weitere Kostenlose Bücher