Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
schimmernden Schlangenaugen abstrahlte. »Bardo – verlass mich nicht!«
»Ich verlasse dich nicht, Rani. Durch dieses Zeichen bin ich mit dir verbunden. Komm nachts zum Beten, so oft du kannst. Ich werde hier sein, wenn ich kann.«
Sie schlang die Arme um seine Taille und barg ihr Gesicht in den Falten seines Umhangs. »Bitte! Ich tue alles, was du von mir verlangst!«
»Ich verlange nur eines, Rani Händlerin. Sei tapfer, kleine Schwester. Ich werde dich wieder sehen, und das bald.«
Er löste ihre Finger sanft aus seinem Umhang, und dann lief er den Mittelgang hinab und verschwand in der mitternächtlichen Dunkelheit, als wäre er niemals in der Kathedrale gewesen. Rani, die sich erhob, um ihm nachzulaufen, stolperte gegen die Kante von Roats Altar. Die Armbewegung, mit der sie um Gleichgewicht rang, genügte, um die beiden Votivkerzen flackern zu lassen. Bevor sie vom Altar des Gottes der Gerechtigkeit forttreten konnte, erstickten die Flammen in ihrem Wachs und ließen Rani gestrandet und allein in der dunklen Kathedrale der Tausend Götter zurück.
13
»Lasst mich in Ruhe, Marcanado! Ich kann den Gang allein hinabgehen!« Rani seufzte angewidert, als ihr der selbstgefällige Soldat durch die Palastgänge folgte, die zu den königlichen Gemächern führten. Sie ärgerte sich darüber, dass er sie beschattete, ärgerte sich darüber, dass er auf ihre offenkundige Schroffheit nicht reagierte, und ärgerte sich darüber, dass Bardo nicht in der Kathedrale erschienen war. Wieder nicht.
Es war fast eine Woche her, seit sie ihren Bruder zuletzt gesehen hatte. Im ersten Monat, den sie im Palast verbracht hatte, hatte Bardo sie regelmäßig an Roats Altar getroffen, aber nun schien es, als würde Rani erneut im Stich gelassen. Sie brachte ihre Enttäuschung mit schriller, piepsender Stimme zum Ausdruck: »Ich sagte, lasst mich in Ruhe!«
Der Soldat erstarrte, als sie zu ihm herumfuhr, und betrachtete sie mit unverwandtem Blick, als wäre sie eine seltene Spezies Moos im Palastgarten. Seine Ungerührtheit erzürnte sie noch weiter, und sie streckte steife Arme aus und stieß ihn gegen den Brustharnisch. »Wenn Ihr nicht aufhört, mir zu folgen, werde ich schreien!«
Marcanado ballte die Fäuste, zeigte aber durch nichts sonst, dass er Ranis Drohung gehört hatte. Zornig, einsam und verängstigt, warf Rani den Kopf zurück und heulte, ein zorniges Wehklagen, das um Erlösung aus der Rolle flehte, die sie spielte.
Während Marcanado ihr nicht die Befriedigung einer Reaktion gewährte, kam den Gang hinauf und hinab augenblicklich hektische Betriebsamkeit auf. Eisenverstärkte Stiefel klapperten auf den Fliesen, als Wächter zur Verteidigung der königlichen Familie vor einer unbekannten Bedrohung eilten. Ein Hauptmann schrie um die Biegung des Ganges Befehle, und dann war Rani von einem starrenden Dickicht von Schwertern umgeben, die alle auf ihr schwarzes Pilgergewand gerichtet waren und alle unbehaglich gesenkt wurden, als die Soldaten den heiligen Gast der königlichen Familie erkannten.
»Was, im Namen des Ersten Gottes Ait!« Das Brüllen erklang hinter einer schweren Eichentür, und dann verneigten sich die Soldaten und regten sich unbehaglich in ihren Rüstungen, als Larindolian die Tür heftig aufstieß. »Was, im Namen all der Tausend Götter, geht hier draußen vor?« Der Adlige zupfte an seiner silberfarben glänzenden Tunika und richtete seinen eisigen Blick auf den Hauptmann der Wache. »Ihr, Mann. Was tut Ihr? Erkennt Ihr nicht, dass die königliche Familie Ruhe braucht?«
»Euer Gnaden.« Der Hauptmann der Wache nickte steif und gab seinen Leuten ein knappes Handzeichen. Ein Dutzend Schwerter glitten wieder in ihre Scheiden, und die Kämpfer regten sich in dem schmalen Gang erneut unbehaglich. »Wir bitten Euch um Verzeihung.«
»Ihr bittet mich um Verzeihung«, ahmte Larindolian sie sarkastisch nach. »Was ist mit der Vergebung der Prinzen und Prinzessinnen in ihrem Kinderzimmer? Was ist mit Ihrer Majestät, der Königin?« Der Schatzmeister trat nun in den Gang und schloss die Eichentür rasch hinter sich. »Werdet Ihr auch den König um Verzeihung bitten?«
Rani sah in den Augen des Hauptmanns Zorn und Angst aufflammen und erkannte, dass sie nicht zulassen durfte, dass die Tirade weitergeführt wurde. »Bitte, Euer Gnaden«, begann sie. »Die Wachen haben nur ihre Aufgabe erfüllt…«
»Laut wem, Erste Pilgerin?« Larindolian wandte ihr seinen listigen Blick zu. »Wollt Ihr mir sagen, wie
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