Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
ich diesen Haushalt führen soll? Wollt Ihr die Verantwortung für die Sicherheit der königlichen Familie übernehmen? Die einzige Familie, die Ihr auf der Welt habt?«
Diese letzte Frage war eine deutliche Warnung, und Rani schluckte ihre zornige Erwiderung hinunter und ermahnte sich, dass sie eine Pilgerin auf dem Weg zur Erleuchtung sein sollte, eine Waise, die erst kürzlich in der Stadt eingetroffen war, um die Tausend Götter zu ehren. Als wollte Larindolian ihrer Erinnerung noch nachhelfen, umfasste er ihren Arm und drückte den unsichtbaren Schlangenreif tiefer in ihr Fleisch. Seine Botschaft war so deutlich, dass er sie ebenso gut hätte laut aussprechen können – Rani durfte nicht vergessen, dass sie am königlichen Hof allein sein sollte. Sie hatte keinen Bruder, keine Bruderschaft. Sie schluckte eine trotzige Erwiderung hinunter.
»Es tut mir leid, Euer Gnaden.« Sie bemühte sich, ehrlich reumütig zu klingen, aber es gelang ihr nicht ganz. »Ich wollte Euch oder der Wache keine Schwierigkeiten bereiten. Bitte vergebt dieser bescheidenen Pilgerin, die noch so vieles über die Gebräuche ihrer neuen Familie lernen muss.«
Larindolian drückte die Finger fester zusammen, quetschte ihren Arm unter dem Metallband, aber seine Stimme klang versöhnlich. »Gewiss, Erste Pilgerin, wir im königlichen Haushalt verstehen, welche Bürde Ihr tragt, das Bemühen darum, auf dem Weg der Tausend Götter einen deutlichen Pfad zu finden. Begebt Euch nun zur Ruhe.«
Rani murmelte angemessenen Dank, aber sie ärgerte sich darüber, dass sie allein, nur mit Marcanado, den Gang hinabgehen musste. Sie spürte aller Augen auf ihren schmalen Rücken gerichtet, und als sie die Kinderzimmertür erreichte, war sie dankbar für die Wache der Kinder, die ihr die Tür öffnete, auch wenn der Soldat sie dabei verdrossen und wütend ansah. Wie um die Verdrossenheit des Wächters noch zu betonen, wählten die vier Prinzessinnen genau diesen Moment, um aufzuschreien. Rani hörte, wie die Kinderfrauen ihre Schützlinge rasch zu beruhigen versuchten, und ihre Verärgerung darüber, im Palast eingepfercht zu sein, verstärkte sich.
Als Marcanado Anstalten machte, ihr auch ins Kinderzimmer zu folgen, fuhr Rani zu ihm herum, unfähig, ihre scharfe Zunge zu zügeln. »Es reicht! Ihr könnt mich jetzt allein lassen!«
Der unerschütterliche Soldat reagierte natürlich nicht. Er sah sie nur an, als spreche sie eine fremde Sprache aus einem fernen Land. »Ich sagte…«, wollte Rani wüten.
»Marcanado, das genügt. Ihr dürft gehen.«
Rani wandte sich mit offenem Munde zu Prinz Bashanorandi um, während sich der Soldat verbeugte und davonging. Bashi erwiderte ihren Blick mit schelmischem Grinsen, während er sich mit einer Hand durch sein rotbraunes Haar fuhr und mit einem blauen Auge zwinkerte. Die beiden Prinzessinnen ignorierend, die bei einem improvisierten Spiel um Ranis Beine tollten, stotterte Rani: »Wie habt Ihr das gemacht?«
»Befehlsgewalt.« Bashi strich sich über einen imaginären Kinnbart. Rani lächelte, aber Kälte kroch ihr Rückgrat hinauf, als sie die Macht erkannte, die dieser jüngere Prinz über die Wachen des Haushaltes besaß. Wenn die Soldaten Bashi aus der Hand fraßen, wäre es dann ein solch großer Schritt dahin, noch mehr Macht zu begehren, mehr Anerkennung als der königliche Erbe zu fordern?
Bashanorandi hatte mehr getan, als nur den aufdringlichen Wächter fortzuschicken. Rani dachte an die vergangenen Wochen zurück, an die anderen Male, als Bashi seine Karten aufgedeckt hatte. Er hatte die Wächter erst gestern Morgen veranlasst, mit ihm Schach zu spielen, trotz ihres Protests, andere Pflichten zu haben. Er verschwor sich auch häufig mit den Soldaten, um mehr Übungszeit im Reitring oder vor den Zielscheiben der Bogenschützen zu erlangen. Bashi manipulierte die Wächter schamlos, wie jemand, der für diese Rolle geboren war. Wie jemand, der bereit war, eine Robe der Macht anzulegen, hatte er sein wahres Gesicht gezeigt. Wie konnte es sein, dass Rani die Bedrohung nicht früher erkannt hatte?
Nun sehnte sie sich danach, zur Kathedrale zu entfliehen, Bardo aufzuspüren und ihm zu erzählen, dass sie den Verschwörer unter den Prinzen letztendlich entlarvt hatte. Sie hatte das Rätsel der Bruderschaft gelöst. Bashi war der Sohn, der eine Bedrohung für seinen Vater, den König von Morenia, darstellte.
Und war das wirklich eine Überraschung? Bashis Mutter war die stolze Königin Felicianda,
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