Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
hereinstolpern und die Freude verderben konnte. Rani bemühte sich, ihre Ohren vor der glucksenden Befriedigung des Mannes zu verschließen.
Sie fror in ihrer Zelle, aber sie mochte sich nicht auf das schmutzige Stroh legen, das auf dem Steinboden zu Schlamm wurde. Jedes Mal, wenn sie die durchweichten Halme berührte, erinnerte sie sich an Prinz Halaravillis Worte. »Ich könnte dich dort einsperren lassen, wo das Stroh noch nach dem Blut deiner Glasmalergefährten stinkt, wo du noch immer einen unter Abfällen begrabenen Daumen finden könntest.«
Nun, das hatte er gewiss getan. Sie zweifelte nicht daran, dass Hal ihr die Wächter in die Kathedrale nachgeschickt hatte. Er hatte bewiesen, dass er einem Lehrling überlegen war, der nur eine Maskerade aufführte. Mit Hilfe der Palastwächter war es ihm gelungen, Rani zu zeigen, wer die Kontrolle hatte. Sie war sich sicher, dass Hal sie hatte einsperren lassen, da er Rache für den Tod von Tuvashanoran und Dalarati suchte.
Rani seufzte schwer und schloss die Augen, während sie den Kopf an die Steinwand lehnte. Selbst wenn sie leugnete, den ältesten Prinzen getötet zu haben, konnte sie sich der Verantwortung für Dalaratis Tod nicht entziehen. Sie hatte Blut an den Händen, und kein Protest könnte es fortwaschen.
Ihre Gedanken begannen zu wandern, vom Hunger in ihrem Bauch freigesetzt. Blut an ihren Händen… Sie hatte andere Menschen mit sprichwörtlich Blut an den Händen gesehen. Zum Beispiel Ausbilderin Morada. Die Glasmalerin hatte sich bei der Ausübung ihres Gewerbes häufig genug geschnitten. Rani erinnerte sich selbst jetzt noch an Moradas Zorn auf der Plattform draußen an der Kathedrale. Wer hatte an jenem Tag unter dem Gerüst gelauert?
Wie als Antwort auf ihre müßige Frage, dachte sie an Bardo in der Kathedrale, erinnerte sie sich an die rauen Stellen an seinen Händen, als sich seine Finger um ihre Kehle schlossen. Bei ihren Bemühungen, seinem Zorn zu entkommen, hatte sie die Schwielen an seinen Fingern kaum bemerkt. Jetzt jedoch, wo sie nichts anderes zu bedenken hatte als das, was Bardo gesagt und getan hatte, brachte sie seine aufgerauten Hände mit seinen Worten in Zusammenhang. Die Bruderschaft, so glaubte er, hatte ihm eine Chance verschafft, eine Gelegenheit, über seine Kaste hinauszuwachsen. Er hatte gelernt, die Waffen Adliger zu handhaben – wie den Bogen? Rani erkannte, tief in ihrem Herzen, dass die Schwielen, die sie an ihrem Hals gespürt hatte, das Ergebnis des Reibens über Bogensehnen waren.
So sehr Rani sich auch bemühte, konnte sie doch keinen Grund finden zu glauben, dass Bardo Tuvashanoran nicht getötet hätte. Der Gedanke brachte sie zum Lachen, aber es war ein wahnsinniges Lachen. Ihre Familie war gefoltert und getötet worden, weil sie den Aufenthaltsort eines Mörders preisgeben sollten. Sie hatten geglaubt, die Wächter suchten Rani, hatten geglaubt, sie wären vom jüngsten Kind der Familie verraten worden. In Wahrheit hatte Bardo das Unheil der Händler heraufbeschworen, der älteste Sohn und Bruder, der von der Macht gelockt wurde. Von mörderischer, unehrlicher Macht.
Vielleicht hatte Halaravilli Recht – Rani hatte Prinz Tuvashanoran sozusagen tatsächlich getötet. Wäre sie an jenem Tag auf dem Gerüst geblieben, hätte sie Ausbilderin Moradas Befehl ignoriert, hätte sie Bardo vielleicht davon überzeugen können, dass er sich irrte… Auch wenn sie wie ein braver Lehrling zum Gildehaus zurückgekehrt wäre, wenn sie den Mund gehalten hätte, als sie den Bogen vor dem Fenster sah, hätte sie Bardo vielleicht nicht bei seiner tödlichen Mission geholfen…
Rani reihte die Perlen des Unheils auf, als erschaffe sie ein neues Muster der Waren im Laden ihres Vaters.
Das Klingen von Metall unterbrach ihre Gedanken jedoch und zwang sie mit jähem Entsetzen zu voller Wachsamkeit. Die Wächter könnten wegen jedem der Gefangenen kommen. Sie könnten auch einige neue Unglückliche herbeibringen. Aber Rani wusste, dass die Soldaten ihretwegen kamen.
Sie waren grob, als sie sie aus ihrer Zelle zerrten, und ihre Äußerungen waren noch grober, als der Anführer ausrief: »Legt sie in Ketten! Sie soll keine Bedrohung sein, wenn wir sie vor den König bringen.«
Die Eisenketten in den Händen der Soldaten sahen schlimm aus, und die Männer hatten keinerlei Bedenken, brutale Gewalt anzuwenden. Der nächststehende Soldat zog sie heftig hoch, so dass ihr fast der Arm aus dem Gelenk gerissen wurde, und dann
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