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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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wurde, hatte sie ihre Lehrlingsschwüre auf diese Kugel geleistet, und sie wusste, dass jeder bestätigte Meister die Worte der Verbindlichkeit und der Bruderschaft vor den zarten Glasflächen sprach. Die Kugel war das Herz der Gilde, der Kern der Macht der Glasmaler.
    Rani konnte selbst aus dieser Entfernung die Ehrfurcht ihrer Gildekameraden erkennen. Die Essenz der Kugel war über den Raum hinweg spürbar, und einige der Glasmaler entspannten sich in der tröstlichen Vertrautheit dieser Energie sichtlich. Für Rani war die Präsenz der Kugel jedoch alles andere als tröstlich. Soldaten, die ein Kind verstümmelten – was würden sie einem Tand aus Glas und Blei antun?
    Ranis schlimmste Befürchtungen wurden im Handumdrehen bestätigt. Der junge Soldat präsentierte seinem Hauptmann die Kugel, wobei er sich kaum Mühe gab, sein hämisches Lächeln zu verbergen, als der stämmige Soldat den zerbrechlichen Gegenstand anhob. Seine Stimme, als sie sich ins Refektorium ergoss, klang aalglatt und hämisch, und Rani erstarrte noch stärker als bei Larindas Verstümmelung. »Ich spreche im Namen Shanoranvillis, König von Morenia, Gebieter der Stadt und Verteidiger des Glaubens: ›Meine Vorfahren gaben der Gilde ihren Freibrief, und die Glasmaler haben meiner Familie in vergangenen Zeiten gut gedient. Ich lasse, in Erinnerung an diesen alten Dienst, Gnade walten und fordere noch nicht das Leben jedes Mannes und jeder Frau der Gilde. Ich biete diese Gnade trotz der Tatsache an, dass die Gilde mir meinen leiblichen Erben geraubt hat.‹«
    Der Hauptmann hob die Kugel hoch über seinen Kopf, noch während einige der Ausbilder heimlich ein heiliges Zeichen vollführten und ihren individuellen Göttern leise dankten, dass ihr Leben bewahrt werden sollte. Der Soldat fuhr fort, für die geflüsterten Gebete unempfänglich: »›Ich, Shanoranvilli, habe mit der Glasmalergilde eine Natter an meiner Brust genährt. Daher befehle ich, dass die Gilde vernichtet wird und alle ihre Mitglieder des Landes verwiesen werden. Ich befehle, dass die Gebäude niedergerissen werden, Stein um Stein, durch die Hände der früheren Glasmaler. Ich befehle, dass ihre Brunnen verseucht werden, damit kein Mann, keine Frau und kein Kind daran denkt, in den Ruinen Schutz zu suchen. Ich befehle, dass ihre Ländereien mit Salz bestreut werden, damit kein Getreuer des Reiches seine aufrichtige Seele beschmutzt, indem er von den Früchten der Verrätergilde isst.‹«
    »Lasst Gnade walten!«, rief Salina, welche die verstümmelte Larinda unbeholfen beiseiteschob und vor dem Hauptmann der Wache auf die Knie sank. »Wir sind unschuldig, Herr!«
    Der Soldat ignorierte sie. »›Künftig wird das Zeichen der Glasmalergilde zum Zeichen des Verrats. Jedermann, der mit dem Abzeichen der zuvor erwähnten Gilde gesehen wird, soll wegen dieser ersten Übertretung geschlagen werden. Eine zweite Übertretung rechtfertigt Brandmarkung – ein Bild von Schneideeisen quer über der Stirn –, um den Verräter für immer zu kennzeichnen. Für eine dritte Übertretung muss der Verräter mit dem Leben bezahlen, so nutzlos diese Münze auch sein mag.‹«
    Der Aufschrei der Entrüstung war wahrscheinlich mehr, als der Hauptmann erwartet hatte – seine Männer mussten mit den flachen Seiten ihrer Klingen um sich schlagen, bevor die Ordnung im Haus auch nur annähernd wiederhergestellt werden konnte. »So spricht Shanoranvilli, König von Morenia, Gebieter der Stadt und Verteidiger des Glaubens. Jedermann, der sich dem widersetzt, wird die berechtigte Macht seines Zorns zu spüren bekommen.« Der Soldat hob die Kugel über seinen Kopf und drehte sie einen Moment, um das unbeständige Fackellicht einzufangen. Dann schleuderte er das Glas und Blei mit einer raschen Bewegung seiner kräftigen Handgelenke zu Boden.
    Farbig schimmernde Glasstücke glitten über die Steinfliesen. Ein kollektiver Schrei entrang sich den Gildemitgliedern, und Rani spürte, wie die Macht befreit wurde, während sich der Bleirahmen auf dem Boden verbog. Die Energie der aufgelösten Gilde war etwas Physisches, das ihren Geist bedrängte, und sie erinnerte sich der Berührung der Macht, als sie erst vor wenigen Monaten ihre eifrigen Lehrlingsschwüre geleistet hatte.
    Der Hauptmann verschwendete jedoch keine Zeit mit trüben Gedanken über die Auflösung einer Gilde, die generationenlang ein ehrbarer Teil der Stadtgesellschaft gewesen war. Stattdessen gab er seinen Männern ein Zeichen, die daraufhin

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