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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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den Raum durchschritten und alle Symbole der nun geächteten Bruderschaft entfernten. Edle Stoffe wurden zerfetzt, Abzeichen von Ärmeln gerissen. Juwelenbesetzte Zeichen wurden von wie gelähmten Brüsten gezerrt und in die Taschen der Soldaten gesteckt, die mit einem Auge darauf schielten, die wertvollen Steine zu verkaufen und das Gold und Silber einzuschmelzen. Die Wächter waren noch rauer und habgieriger als die Krähe, die Ranis Abzeichen gestohlen hatte.
    Erst als die Gildemitglieder vom Nachbeben der Zerstörung stumm und zitternd vor den Soldaten standen, begriff Rani die volle Wirkung von Shanoranvillis Erlass. Die Glasmaler waren nun ihrer Kaste beraubt. Sie waren nicht mehr die Gildemitglieder, die sie von Geburt an gewesen waren, es sei denn, sie könnten eine Brudergilde finden, die mutig oder einfältig genug war, einen vermeintlichen Verräter aufzunehmen. Jeder Glasmaler in Morenia war gerade zu einem Kastenlosen verwandelt worden, zu einem Unberührbaren.
    Diese Erkenntnis ließ Rani deutlicher als jede andere unbarmherzige Handlung der Soldaten erkennen, dass sie dem Gildehaus augenblicklich entfliehen musste, wenn es nicht bereits zu spät war. Sie schob das Bild der zerbrechenden Kugel gewaltsam von sich und hastete die Galerietreppe hinab. Sie konnte die Soldaten im Refektorium hören, die erneut die Lehrlinge hervorzerrten, um sie einzusperren und Shanoranvillis blutige Befehle auszuführen. Bevor sich das Wirrwarr klären konnte, hastete Rani den Steingang zu ihrem Schlafzimmer hinab.
    Dort angekommen, fand sie überraschend wenig, was sie brauchte. Ihre spärliche Kleidung, alle stolz mit dem Gildeabzeichen versehen, kam einem Todesurteil gleich. Als Lehrling besaß sie nichts. Ihr ganzer Besitz gehörte vertragsgemäß der Bruderschaft. Sie griff unter ihre Matratze und nahm die wenigen Schätze hervor, die sie dennoch gehortet hatte.
    Da war die Stahlklinge von Zarithia, die ihr Vater ihr geschenkt hatte, ihre erste Belohnung dafür, dass sie den Händlerstand dekoriert und damit erfolgreich Vorübergehende angelockt hatte. Da war eine vierkantige Münze aus einem fernen Land im Süden, von ihrem ältesten Bruder Bardo durchbohrt und auf eine Rohlederschnur aufgezogen. Da war eine Puppe von der Größe ihrer Hand, die ihre Mutter aus einem verknoteten Lumpen gemacht hatte, als Rani noch ein Säugling war. Da war ein Stück kobaltblaues Glas, das sich in ihre Hand schmiegte, glatt und makellos, am ersten Tag in der Gilde aus einem Abfallhaufen geborgen, als Rani den Arbeitsraum der Ausbilder ausgefegt hatte. Und da war ein Spiegel, ihr Geburtsgeschenk vom Händlerrat. Er war vollkommen rund und aus massivem Silber, mit einer Erhebung auf der Rückseite, die einen Löwen zeigte, der eine Bergziege angriff. Ihre Finger strichen unwillkürlich über den sehnigen Katzenkörper. »So tapfer wie ein Löwe, so flink wie ein Löwe«, murmelte sie in Erinnerung an die Beschwörungsformel ihres Vaters, als er ihr den Schatz bei ihrem Aufbruch zum Gildehaus übergab.
    Rani steckte die kargen Besitztümer in ihre Taschen, zwängte sie zwischen die Äpfel, die sie im Garten aufgelesen hatte. Ein rascher Blick aus ihrer Tür zeigte ihr, dass der Gang noch verwaist war, aber sie wusste, dass ihr Glück nicht anhalten konnte.
    Tatsächlich hatte Rani gerade die Türen des Gildehauses erreicht, die massiven Steinportale, die sich zu den Gärten hin öffneten, als sie die Menge im Refektorium sich regen hörte.
    Die Soldaten sprachen mit harten Stimmen, und es war offensichtlich, dass sie die Lehrlinge in Shanoranvillis berüchtigte Verliese trieben.
    Rani stürzte hinaus, aber sie konnte selbst im Zwielicht die Wachen an den Toren erkennen. Es war keine Zeit, auf ihren Apfelbaum zu klettern und die Mauer zu erklimmen. Es würde gewiss Alarm geschlagen. Rani duckte sich hinter den Westflügel des Hauses und lief dann zu den wuchtigen Glasbrennöfen, die auf einer erhöhten Steinplattform standen.
    Die Öfen, die dazu benutzt wurden, Glasuren auf Glasscheiben aufzubringen, wurden stets von Lehrlingen mit trockener Eiche bestückt. Rani wusste, dass der nächstgelegene Brennofen zuletzt benutzt worden war, um Moradas Verteidiger-Fenster zu brennen – er war seit mindestens drei Tagen leer, denn Rani war selbst dafür verantwortlich gewesen, den Ofen in Gang zu halten. Dennoch hielt der Keramikofen noch Tage nach einer Befeuerung die Wärme, und sie konnte sie in der kühlen Herbstnacht von den Lehmwänden

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