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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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auf eine geheime Treppe auf der anderen Seite des Ganges zu. Sie nahm jeweils zwei Stufen auf einmal und erinnerte sich, wie sie und Larinda – nur vierzehn Tage nach ihrer Ankunft im Gildehaus – diesen Gang zum ersten Mal erkundet hatten. Damals hatten sie dem vollkommen unmäßigen Zorn der Ausbilder aufgrund irgendeiner Missetat entkommen wollen.
    Die Stufen waren steil, und Ranis Atem drang stoßweise von ihren Lippen, während sie das letzte Dutzend Stufen erklomm und auf dem schmalsten der Balkone herauskam, die hoch über dem Boden des Refektoriums thronten. In Stein gemeißelte Sitze wiesen darauf hin, dass der Bereich ursprünglich für Musiker gedacht war, aber diesem Luxus hatte man schon lange entsagt.
    Von diesem Aussichtspunkt aus konnte sie die umherirrende Horde von Ausbildern, Gildemitgliedern und Lehrlingen ausmachen. Die Glasmaler waren eindeutig bei ihrer Nachmittagsarbeit überrascht worden – viele hielten noch die Werkzeuge ihres Gewerbes umklammert. In glücklicheren Zeiten hätte Rani vielleicht gelächelt, als eine der besonders zerstreuten Ausbilderinnen ein Stück karmesinrotes Glas ans Auge hob, um es auf Unreinheiten zu prüfen, wodurch sie auf den Rest der Welt verrückt wirkte. Rani verspürte jedoch vielmehr den Drang zu weinen.
    Cook war auch im Refektorium, mit einem Holzlöffel in der Hand, der mit einer eklig aussehenden, klebrigen Masse überzogen war. Rani konnte sogar in dieser Höhe hören, dass die Frau sich beschwerte, ihr Essen wäre ruiniert, ihr Feuer brenne zu hoch, und ein Lehrling müsse in der Küche den Topf umrühren.
    Die Soldaten, die in das Refektorium platzten, kümmerte es offensichtlich nicht, ob die Gilde am Abend hungern musste. Rani erkannte dort unten ihren Verfolger aus dem Gang, aber sie brauchte mehrere Minuten, um außerdem zu erkennen, dass alle Wachen nach ihr suchten. Tatsächlich begriff Rani erst, was vor sich ging, als ein besonders stämmiger Mann mit schmutzigem, verfilzten Bart Larinda neben dem Podest auf die Knie stieß.
    Die Lehrlinge wurden einer nach dem anderen aus der Menge hervorgeholt. Als die Gildemitglieder und die Ausbilder die Wölfe in ihrer Mitte erkannten, versuchten sie, die Kinder zu schützen. Parion, der Ausbilder, dem Salina die Aufgabe zugeteilt hatte, die Gilde bei Gebeten für Tuvashanoran anzuleiten, riss den Umhang von seinen Schultern und legte ihn um die Schultern eines der ältesten Lehrlinge.
    Die List, von einem Soldaten bemerkt, brachte Parion nur einen Schlag auf den Mund mit der Rückseite eines Panzerhandschuhs ein. Rani schämte sich, als sie sah, wie der Ausbilder eine Hand von seiner aufgeplatzten Lippe nahm. Während die Lehrlinge zum anderen Ende des Refektoriums getrieben wurden, stürmte der Leiter der Wache durch die Tür.
    Er ließ die schwere Holztür krachend in ihre Scharniere fallen, während er Gildemeisterin Salina in die Halle stieß.
    Der dramatische Auftritt wurde durch Salinas Erscheinen noch verstärkt. Ihr Haar hatte sich während ihres Kampfes in der Züchtigungshalle gelöst, und flaumige, graue Strähnen lagen nun wie ein Heiligenschein um ihr Gesicht. Auf einer bleichen Wange war eine klaffende Wunde zu sehen, und ihre zitternde Hand schwebte zu dem schmalen Blutrinnsal, als könnte sie ihr Schicksal nicht fassen. Bevor einer der Soldaten Parion aufhalten konnte, trat der Ausbilder an die Seite seiner Herrin und bot Salina zur Stütze einen Arm. Die Gildemeisterin nahm die Hilfe mit einer Demut an, die verheerender war als alles andere, was Rani bisher beobachtet hatte.
    Der Hauptmann der Wache betrachtete Salina finster, als sie sich auf einem Stuhl auf dem Podest niederließ. Der Soldat sprach erst, als er über der sitzenden Gildemeisterin aufragte, und beanspruchte augenblicklich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller im Raum. »Ich wurde von Shanoranvilli gesandt, dem König Morenias, um der Glasmalergilde diese Botschaft zu überbringen. Es ist bekannt, dass ihr gegen den Erben Shanoranvillis, den Prinzen des Volkes, konspiriert habt, gegen den Mann, welcher der Verteidiger des Glaubens gewesen wäre. Tuvashanoran ist tot, und Shanoranvilli hat folgende Strafe verfügt.«
    Die Worte des Wächters bewirkten Unruhe unter den Glasmalern, Proteste, dass sie unschuldig seien. Der Soldat ignorierte sie und fuhr mit unbewegter Stimme fort. »Mindestens ein Mitglied eurer Bruderschaft stand auf dem Gerüst an der Außenmauer der Kathedrale. Wir wissen, dass ihr die Vollendung eures

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