Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
ausstrahlen spüren. Sie zog an der schweren Tür, lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht zurück, um sie nach außen zu öffnen.
Die Hitzewelle erinnerte an die auf ein Obsidianfeld niederbrennende Sommersonne. Bevor Rani sich jedoch zurückziehen konnte, hörte sie außerhalb des Gildehauses Aufruhr. Die Stimmen der Soldaten klangen laut durch die Nacht, und das Klingen von Metall auf Metall war zu hören. Rani hatte keine Ahnung, wie lange die Soldaten brauchen würden, bis sie das Haus dem Erdboden gleichmachten, aber sie war sich sicher, gefangen zu sein, wenn der Hauptmann in dieser Nacht Wachen auf dem Gelände aufstellte. Rani konnte über ihr hämmerndes Herz hinweg den Befehl eines Soldaten verstehen: »Ich will, dass das Gelände gesichert wird, bevor wir die Gildemeisterin herausbringen. Man kann nicht wissen, was diese verräterischen Hunde im Dunkeln unternehmen werden.«
Rani zögerte nicht mehr, als eine junge Stimme von der Ecke des Gebäudes »Ja, Sir!« rief. Der Wächter machte kein Geheimnis aus seinem Auftrag, als er sein Schwert aus der Scheide zog. Rani konnte den Mondschatten der Waffe ausmachen, als sich der Soldat der Ecke des Gildehauses näherte.
Sie atmete tief die kühle Nachtluft ein und kauerte sich dann geduckt in den Brennofen. Es gelang ihr nur knapp, die Tür zuzuziehen, bevor der Soldatenstiefel knirschend die Kiesplattform des Ofens betrat.
3
Rani sah entsetzt hin, als sich Tuvashanoran vom Altar erhob und eine sehnige Hand ausstreckte, um den tief in sein Auge eingedrungenen Pfeil herauszuziehen. Als er den zitternden Schart aus seiner Haut zog, schrumpfte dieser in seiner Faust. Blut tropfte noch immer von einem Ende, karmesinrote Tropfen, die auf dem Marmorpodest verdampften, und Rani erkannte, dass der Prinz keinen Pfeil in der Hand hielt, sondern vielmehr Larindas abgetrennten Daumen. Bevor Rani entsetzt aufschreien konnte, wandte sich Tuvashanoran zu der Stelle um, wo sie in der plötzlich leeren Kathedrale kniete, und drang mit stahlharten Augen in sie. »Es genügte nicht, mich zu töten«, sagte er. »Du musstest auch noch deine Lehrlingsschwester treffen.«
»Nein!«, schrie Rani und dieses eine Wort brachte sie wieder zu Bewusstsein. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und ihre Tunika war schweißdurchtränkt. Sie war einen langen Augenblick zu erschrocken, um die Augen zu öffnen, zu ängstlich, dass der sandige Boden unter ihr zur Kathedrale gehören würde und Tuvashanoran als ihr Richter über ihr stünde.
Sie atmete ungleichmäßig, konnte nicht normal denken und kämpfte darum, sich aus dem anhaftenden Nebel ihres Albtraums zu befreien. Als sie die Augen öffnete, erkannte sie die fremdartige Beengtheit und ihr hartes Bett nicht. Kein Wunder, dass sie solch einen üblen Traum hatte – sie musste Cook erneut beleidigt haben, irgendeine geheimnisvolle Verletzung der Gilderegeln begangen haben, was sie gewiss hätte vermeiden können, wenn sie nur in die Klasse der Gildemitglieder geboren worden wäre. Ihre Strafe hatte eindeutig darin bestanden, dass sie in der heißen Vorratskammer schlafen und die Mäuse vom Mehl der Ausbilder fernhalten sollte, was niemals gelang.
Während Rani seufzend an Cooks Wortschwall dachte, der ihr morgendliches Erscheinen in der Küche gewiss begleiten würde, setzte sie sich auf, stieß sich den Kopf und erkannte, dass sie sich nicht in der Vorratskammer befand. Die Erinnerung kehrte mit Macht zurück, während sie sich die Stirn rieb – Visionen von der Flucht vor dem wütenden Krieger, von Larindas blutender Hand und der Rache, die König Shanoranvilli dem Gildehaus erklärt hatte.
Nun konnte Rani sich an ihre knappe Flucht vor der Wache des Königs erinnern. Im noch warmen Ofen kauernd, war sie sich sicher, dass jeden Moment ein Soldat die Tür aufreißen würde. Sie hatte es, nachdem sie die Tür zugezogen hatte, fast augenblicklich bedauert, dieses übereilte Versteck gewählt zu haben. Sie konnte potenzielle Angreifer nicht sehen, und der Stein dämpfte jegliche herannahenden Schritte. Rani bildete sich mehr als ein Mal ein, dass sich die Tür auf der Backstein-Plattform knirschend öffnen würde, und sie kauerte sich an die Ofenwand und tastete nach ihrer zarithianischen Klinge.
Letztendlich überwog die Erschöpfung jedoch die Angst, und sie war in einen unruhigen, von entsetzlichen Albträumen durchsetzten Schlaf geglitten. Nun zog sich ihr Magen zusammen, und sie erinnerte sich, dass sie seit dem Verschlingen der
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