Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
der Kathedrale zur Mittagsstunde läuteten, und konnte der Versuchung nicht widerstehen, auf der Schwelle darauf zu warten, dass Garadolo mit Bardo auftauchte, aber sie wurde bitter enttäuscht. Während sie das gewellte Glas polierte, welches den Sonnenuntergang im Fensterrahmen reflektierte, kämpfte sie gegen aufkommende Verzweiflung an.
Sie ließ die Tür, trotz der kalten Luft, geöffnet und setzte sich auf die Vorderveranda. Sie hatte mehrere weitere Ausflüge zu dem Brunnen unternommen, um frisches Wasser zu holen, und ihre Arme schmerzten. Ihr knurrte vor Hunger der Magen, und sie drängte den verdächtig salzigen Geschmack von Tränen zurück, während sie am Türrahmen lehnte.
Die Sonne war bereits untergegangen, als Garadolo zu seinem Quartier zurückkehrte. Er schritt munter die Straße entlang, die fleischigen Beine in neuen Hosen, die er dem Quartiermeister anscheinend abgeschwatzt hatte. Seine Schritte wurden weitaus weniger forsch, als er Rani auf der Schwelle sitzen sah. »Du bist immer noch hier?«, murrte er.
»Natürlich. Wo ist Bardo?«
»Wo ist Bardo?«, ahmte er sie nach und drängte sie in den Raum. »Du solltest seinen Namen auf der Straße nicht laut aussprechen! Was willst du – dass das ganze Viertel erfährt, welches Zeichen ich trage?« Hinter seinen Worten war aufrichtige Angst spürbar, eine Feigheit, die Ranis Enttäuschung noch nährte. »Was, im Namen Cots? Was hast du mit meinem Quartier gemacht?«
»Ich habe es gesäubert.« Rani widerstand dem Drang, ihrer einfachen Erklärung ein Beiwort anzufügen. »Ihr habt mir gesagt, Ihr würdet Bardo zu mir bringen. Ihr habt gelogen!«
»Ich habe nicht gelogen, kleiner Tiger.« Garadolo sah sich wie unter Schock um und schien das ordentlich an einer Wand zusammengerollte, saubere Bettzeug und das glänzende Glas hinter den staubfreien Fensterläden kaum wiederzuerkennen. Er strich über seinen schmierigen Bart und wandte sich ihr dann mit einem anzüglichen Grinsen zu, das sie eindeutig besänftigen sollte. »Ich habe versucht, ihn zu finden, ehrlich.
Es ist nicht leicht für jemanden, der in der Bruderschaft einen so niedrigen Rang bekleidet wie ich. Ich habe versucht, meinen Kommandanten zu sprechen, eine Nachricht die Leiter hinaufzuschicken. Dein Bardo lässt sich besser beschützen als eine Spinne in ihrem Netz.«
»Gut«, erwiderte Rani wütend und schrie fast auf, als Garadolo schmierige Fingerabdrücke auf dem sauberen Fenster hinterließ. »Dann werde ich ihn selbst finden. Ich dachte, einer von Shanoranvillis Soldaten könnte das schaffen, aber ich habe mich offensichtlich getäuscht.«
»Diese Worte grenzen an Verrat, Kleine. Zieh den Namen des Königs nicht durch deinen eigenen Dreck.«
»Meinen…«, begann Rani, während der Zorn ihre Finger sich zu dem zarithianischen Messer stehlen ließ.
»Und glaube nicht, du könntest ein Messer in einem der Wächter des Königs versenken.« Wie um seine Worte zu betonen, legte Garadolo eine wuchtige Faust an seinen weitaus längeren Dolch.
»Wenn Ihr nicht wollt…«
»Es geht nicht um ›nicht wollen‹. Ich konnte nicht, nicht heute. Die ganze Stadt war in Aufruhr, und Herolde standen an jeder Straßenecke und suchten schreiend nach dieser verdammten Ranita – nach diesem verdammten Gildemädchen. Tuvashanorans Scheiterhaufen wurde zur Mittagszeit angezündet, weißt du.« Rani hatte es nicht gewusst, obwohl sie sich hätte erinnern müssen. Ihre Gedanken zuckten zu dem Ladanum, mit dem sie das Tuch eingerieben hatte, das Leichentuch, das sie vorbereitet hatte. Garadolo schnaubte missbilligend, als Rani sich von ihm fortstahl. Sie wusste nicht, ob er ihre wahre Rolle beim Tod des Prinzen kannte. Als sie ihn eine lange Minute einfach nur mürrisch ansah, fluchte er und wiederholte: »Ich sage dir, ich konnte es nicht tun! Ich habe eine Nachricht geschickt, und morgen soll ich eine Antwort bekommen. Ich werde den Boten natürlich bezahlen müssen…« Er brach bedeutungsvoll ab und rang die Hände.
Rani umklammerte ihren Beutel, ihre kargen Schätze. »Was wollt Ihr von mir?«
»Ich bin nur ein armer Soldat, Mädchen. Ich kann kein Bestechungsgeld für dich bezahlen. Was hast du in deinem Beutel?«
Rani musste widerwillig zugeben, dass seine Forderung berechtigt war – er war tatsächlich nur ein Soldat. Sie griff seufzend in ihren Beutel und nahm zuerst den einen und dann den anderen indigoblauen Handschuh hervor.
»Dafür bekommt Ihr einen fairen Preis. Sie wurden
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